13.04.2022

Aktuelles

Das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV kommt

Das 9-Euro-Ticket soll ab dem 1. Juni für drei Monate gelten.

Das 9-Euro-Ticket soll ab dem 1. Juni für drei Monate gelten.


9-Euro-Ticket für den ÖPNV soll ab 1. Juni gelten

Ende März kündigte die Ampel-Koalition das 9-Euro-Ticket für den ÖPNV in Deutschland an. Anfang der Woche, am 11. April, gab der Verkehrsausschuss neue Informationen zu den Vergünstigungen bekannt: Das 9-Euro-Ticket soll am 1. Juni 2022 kommen und bundesweit gültig sein. Was der Vorstoß für unsere Städte bedeutet und ob Pendler*innen tatsächlich auf Öffentliche umsteigen werden, lesen Sie hier.

In den ersten beiden Wochen des Krieges in der Ukraine verteuerten sich die Treibstoffe auf nie gekannte Höhe. Auch wenn die Spritpreise inzwischen wieder unter zwei Euro liegen, veranlassten die gestiegenen Spritpreise die Bundesregierung zu Schritten, die vor ein paar Monaten undenkbar schienen: ein 9-Euro-Monatsticket für den ÖPNV. Für nur neun Euro monatlich sollen die Bürger*innen drei Monate lang den öffentlichen Nahverkehr in Zukunft nutzen können. Das 9-Euro-Ticket soll Pendler*innen entlasten und Werbung für den ÖPNV machen. Menschen sollen vom eigenen Pkw auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Ihren eigenen Geldbeutel und die Umwelt schonen – aus Sicht der Bundesregierung eine sowohl soziale als auch ökologische Maßnahme.

Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) zufolge, soll das 9-Euro-Ticket ab dem 1. Juni 2022 kommen und für den gesamten Regionalverkehr gelten. Das bedeutet, eine Zugfahrt von München nach Berlin im Regionalzug werde dann nur noch neun statt 90 Euro kosten. Aber auch das Pendeln in Metropolregionen wie München werde deutlich günstiger. Eine Monatskarte der Zone 4 (173,90 Euro) reduziere sich von einem auf den anderen Moment um 95 Prozent. Kurz: Das 9-Euro-Ticket – sollte es wirklich kommen – macht einen Unterschied für die meisten Bürger*innen.

Das 9-Euro-Ticket soll ab dem 1. Juni für drei Monate gelten.

Drei Wünsche an den neuen Bundesverkehrsminister …

Dass die 9-Euro-Regelung nun für den gesamten Regionalverkehr gelten soll, schafft bereits die eine oder andere Frage aus dem Weg. Zum Beispiel: Gilt das Ticket für eine oder zwei Zonen? Wie geht man mit unterschiedlich großen Verbünden um? Andere Fragen – vor allem in Bezug zur Umsetzung – bleiben jedoch noch unbeantwortet. Das Bundesverkehrsministerium will sie aber zeitnah klären. Schließlich soll ein Gesetzentwurf am 18. oder 19. Mai abgestimmt werden. Am 20. Mai folgt dann die Abstimmung im Bundesrat – insgesamt „ne’ ganz schön enge Kiste“ bis zur geplanten Einführung am 1. Juni.

Unabhängig von Wann- und Wie-Fragen trägt das Ticket als geplantes „9-Euro-für-90-Tage-Experiment“ jetzt schon zur Diskussion rund um kostenlosen ÖPNV oder 365-Euro-Jahresticket bei. Eine Diskussion, die bereits seit vielen Jahren in Deutschland geführt wird, und zu der sich die Parteien unterschiedlich positionieren: Die Linken sind als einzige Partei für ein kostenloses Ticket. Die SPD und die CDU könnten sich laut tagesschau.de ein 365-Euro-Jahresticket in Metropolregionen vorstellen.

U-Bahn-Haltestelle „Karlsplatz in München“: Insbesondere für Pendler*innen in den Metropolen dürfte das 9-Euro-Ticket eine finanzielle Entlastung bedeuten. (Foto: Samuel Pucher via Unsplash)

Erfahrungen aus Tallinn und Wien

Ein kostenloser ÖPNV war auch – und bevor das 9-Euro-Ticket hierzulande diskutiert wurde – Thema in der G+L-Aprilausgabe, die erste Ausgabe der Serie zur Mobilität. Karla Wiegmann, Aktivist:in für Klimagerechtigkeit und aktiv bei Fridays for Future Berlin, antwortete auf unsere Frage „Wenn Sie drei Wünsche an den neuen Bundesverkehrsminister frei hätten, wie würden diese lauten?“ mit den Worten: „Die radikale Neuaufstellung des ÖPNV auf dem Land und in der Stadt. Das bedeutet die Verdopplung der Kapazität, eine Offensive von grünen und gerechten Jobs im öffentlichen Nahverkehr und kostenlose Tickets, finanziert aus öffentlicher Hand.“

Daniela Kluckert, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr, betonte hingegen im Gespräch mit der G+L Anfang März, dass nachhaltige Mobilität einen ganzheitlichen Blick und integrierte Mobilitätskonzepte brauche. Ein bezahlbares Angebot sei ein Teil des Konzepts.

Dass kostenloser ÖPNV alleine nicht ausreicht, um Menschen zum Umstieg vom eignen Auto auf die Öffentlichen zu bewegen, belegen auch Studien wie die Befragung der RWI – Leipnitz-Institut für Wirtschaftsforschung. „Die Befragung zeigt, dass ein kostenloser öffentlicher Nahverkehr vielen Menschen in Deutschland attraktiv erscheint und zu einer deutlich höheren Nutzung des ÖPNV führen könnte“, sagt RWI-Wissenschaftler Mark Andor, einer der Autoren der Studie. „Allerdings führt ein kostenloser ÖPNV voraussichtlich kaum zur Verringerung der Autonutzung.“ Eine Simulationsstudie der TU Dortmund aus dem Jahr 2018 kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Ein verbilligtes Ticket sei nicht Grund genug, das Auto stehen zu lassen.

Auch die Erfahrungen der Mobilitätsexpertin Mari Jüssi aus Tallinn sind ernüchternd. Sie fasste für die zweite G+L-Ausgabe der Mobilitätsserie im Mai die Entwicklungen in der estnischen Hauptstadt in Sachen Mobilität zusammen. Über den berühmten kostenlosen ÖPNV in der Stadt schrieb sie: „Hier ist es wichtig zu erwähnen, dass die Auswirkungen auf die Rolle des öffentlichen Verkehrs marginal sind. Im Jahr 2015 – einige Jahre nach der Einführung des kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs für die Einwohner*innen – stieg die Zahl der Fahrgäste im Vergleich zum Vorjahr um zehn Prozent. Das lag aber weniger am kostenlosen Nahverkehr und mehr am Anstieg der Beschäftigungszahlen. Auch in anderen Teilen Estlands stieg 2015 die Nutzung des ÖPNV. Außerdem war der von der Stadt Tallinn betriebene öffentliche Nahverkehr bereits vor 2013 sehr ausgelastet. Für über 65-Jährige und Kinder unter sieben Jahren war er auch schon kostenlos.“

Verteilung des Berufsverkehrs in Tallinn 2000 und 2020 (Quelle: Estonian Statistics, Estonian Transport Administration)

Das 9-Euro-Ticket zur richtigen Zeit

Dass der kostenlose ÖPNV nicht zu weniger Autoverkehr in Tallinn führte, zeigen auch Zahlen zum Berufsverkehr. Im Zeitraum von 2000 bis 2020 stieg der Anteil der Pendler*innen, die mit dem eigenen Pkw zur Arbeit fuhren, von 34 auf 47 Prozent. Der Anteil der ÖPNV-Nutzer*innen ging im Vergleich um 18 Prozent zurück.

Andere Erfahrungen machte hingegen die Stadt Wien: Sie führte 2012 ein 365-Euro-Jahresticket ein. Seitdem steigen die Fahrgastzahlen jedes Jahr. „Es gibt unter den Wiener*innen seit einigen Jahren schon mehr Jahreskarten als Pkw-Besitzer*innen. 38 Prozent der täglichen Wege werden durch die Öffis zurückgelegt und nur 27 Prozent mit dem privaten Pkw – das ist im internationalen Vergleich schon ziemlich vorbildlich!“, so Michael Ludwig, Bürgermeister von Wien.

Und jetzt? Welchen Nutzen wird das 9-Euro-Ticket haben? Werden Autofahrende – wie politisch gewünscht – umsteigen? Nach Mobilitätsexpert*innen, wie die Forscherin Sophia Becker der TU Berlin, braucht es sowohl Pull-, als auch Push-Maßnahmen, um Menschen zum Umstieg zu bewegen: Ein attraktives, günstiges ÖPNV-Angebot auf der einen Seite und Maßnahmen, die Autofahrten unattraktiv machen, auf der anderen Seite. Das 9-Euro-Ticket könnte aufgrund der gestiegenen Spritpreise ein Umstiegs-Anreiz zur richtigen Zeit sein. Allerdings befürchten einige auch, dass das Ticket weniger von Pendler*innen und vielmehr von Low-Budget-Reisenden genutzt wird. Die Gültigkeit des Tickets fällt nämlich in die Urlaubszeit Juli und August. Wie beliebt Odysseen wie München-Berlin in neun Stunden oder Hannover-Usedom in sieben Stunden tatsächlich werden, wird sich zeigen.

Sie möchten mehr über die Mobilität der Zukunft erfahren? Chefredakteurin Theresa Ramisch gibt Ihnen hier einen Einblick in die G+L-Aprilausgabe: Stadtmobilität DACH-Raum.

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