20.12.2022

Gesellschaft

Schwarzer Rolli, Hornbrille – Buchrezension

Buchrezensionen
Das Buchcover zeigt den Titel "Schwarzer Rolli, Hornbrille" in großen Lettern auf rosa Grund ©JOVIS
Buchcover „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ von Karin Hartmann ©JOVIS

Laut einer Auswertung des Centrums für Hochschulentwicklung Gütersloh studierten im Wintersemester 2021/22 erstmals mehr Frauen als Männer an deutschen Universitäten. In der Architektur sieht die Entwicklung nicht anders aus. Dort schließen bereits seit 2006 mehr weibliche als männliche Absolvent*innen das Studium ab. Trotzdem sind sie anschließend in Büros und an Hochschulen unterrepräsentiert. Die vielen Facetten der systemischen Benachteiligung, die in der Branche Gang und Gebe seien, zeigt Karin Hartmanns Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ auf.

Worum es geht: 

Am Anfang ihres Buches stellt Karin Hartmann die Diskrepanz zwischen der Anzahl junger Architekturstudentinnen und tatsächlich später berufstätiger Frauen fest. Im weiteren Verlauf des Buches wandelt sie durch Epochen und Institutionen und verdeutlicht die vielen Aspekte der Diskriminierung. Das Buch gliedert sich in mehrere Überkapitel, darunter  „Wahrnehmung weiblicher Architekturgeschichte“, „Architektur lernen“ oder „Entwerfen Frauen anders?“. Am Ende steht ein Interview mit der Architektin und Professorin Afaina de Jong. 

Was die Autorin auszeichnet:

Karin Hartmann ist selbstständige Architektin. Nach Bürogründung in Dresden und Paderborn vertiefte sie 2011 ihr Interesse für Belange der Baukultur. Sie gründete den Verein Zwischenstadt, arbeitete als Referentin am Bonner Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR)und ist Projektleiterin für Baukulturvermittlung bei Baukultur NRW. Weiterhin ist sie Vorsitzende der architektinnen initiative NW. 

Das ist eine anregende Aussage: 

„Es bleibt spannend zu beobachten, was diese Angst vor einer Feminisierung für das Berufsbild des Architekten bedeutet, das sich zur Bewältigung der Herausforderung des Klimawandels grundlegend ändern wird: Zum ‚Kümmern‘ und ‚Sorgen‘ um den Bestand sind einige weiblich konnotierte Eigenschaften erforderlich.“ (S. 37)

Das ist eine Aussage, die zum Nachdenken anregt:

„Was wäre, wenn die Architekturausbildung nicht mehr so brutal in ihrem Feedback wäre? Was wäre, wenn es darin mehr um das Fragen ginge oder wir uns ihr aus einer Position der Ruhe oder der ‚Care‘ nähern würden? – Afaina de Jong“ (S. 298)

Der Klappentext wird erfüllt, weil:

Der Klappentext verspricht eine umfassende Auseinandersetzung mit der exkludierenden Arbeitskultur für Frauen in der Architektur. Dies wird erfüllt. 

Mit diesem Wissen aus dem Buch kann man angeben:

Weitergetragen werden kann als ein Beispiel der Unsichtbarmachung von Architektinnen die Geschichte von Eileen Gray, die 1929 das spektakuläre Haus E.1027 erschuf. Dieses eignete sich später niemand Geringerer als LeCorbusier an. Er bemalte die Wände – entgegen seiner Überzeugung, die Malerei zerstöre die Wand – und machte Führungen. Sodann wurde er wiederholt als Autor des Gebäudes aufgeführt. Erst 2000 wurde Eileen Gray offiziell als Architektin anerkannt. 

Mehr Klassiker als Trend, weil:

… Feminismus und Gleichberechtigung keine Trends sind. Hartmann führt in ihrem Buch viele Informationsstränge zusammen, die Lesenden als Grundlagen zur weiteren Auseinandersetzung dienen. 

In Kürze

Haptik:

Das Buch mit rosafarbenem Softcover-Einband liegt gut in der Hand. Die Seiten aus mattem Papier blättern sich angenehm.

Design:

Das Layout ist klar in Über- und Unterkapitel gegliedert. Die Typografie ist minimalistisch gehalten und fördert die Orientierung im Buch. 

Lesefluss:

Hartmann schreibt manchmal pointiert, manchmal nüchtern – stets verständlich. Sie trägt die Leser*innen mit Leichtigkeit durch die Texte und schafft es auch komplexere oder „anstrengende“ Zusammenhänge eingängig zu vermitteln.     

Bildsprache: 

Einzelne Grafiken und Projektbilder unterstreichen die textlichen Inhalte. 

Information:

Hartmann gelingt eine ausgewogene Mischung aus statistischen Fakten und persönlichen Werdegängen. Dadurch wird das ganze Spektrum an individueller, struktureller, institutioneller und historischer Diskriminierung greifbar.

Was sonst noch wichtig wäre: 

Das Buch macht betroffen. Und wütend. Es  inspiriert darüberhinaus jedoch auch dazu, bestehende Strukturen zu durchbrechen. Damit Gleichberechtigung nicht mehr nur eine Worthülse in der Branche bleibt. Und sich die Disziplin gemeinschaftlich für eine ökologisch und sozial gerechtere Welt einsetzen kann. Um es in Afaina de Jongs Worten zu sagen: „[ich bin] manchmal so enttäuscht, dass wir uns immer noch mit dem Thema Gleichberechtigung auseinandersetzen müssen, wo uns doch diese enorme Klimakrise bevorsteht.“

Das Buch „Schwarzer Rolli, Hornbrille“ können Sie über den jovis Verlag bestellen.

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