Den Münchner*innen ist der graue Betonkoloss am Candidplatz in München allen bekannt. An seiner Stelle soll nun nach den Plänen von MVRDV und Keller Damm Kollegen ein imposanter 64 Meter hoher Hochhausneubau entstehen: das sogenannte „Candid-Tor“. Die Münchner Stadtgestaltungskommission tagte hierzu Anfang Dezember 2021 – ist sich jedoch uneinig. Alles zum Entwurf und dem aktuellem Stand lesen Sie hier.
Candidplatz München: diverse Nutzungen im Stapeltum
Der Candidplatz in München, Untergiesing: Hier treffen Candidstraße, Pilgersheimerstraße und Schönstraße zusammen. Er fungiert zudem als Haltestelle für die U1 und für diverse Buslinien. Bestimmend für die Wahrnehmung vor Ort ist außerdem die Brückenkonstruktion des Mittleren Rings, die von hier auf den Candidberg führt. Der Platz wurde nach dem Künstler Peter Candid benannt, der einst unter anderem ein Altarbild in der Frauenkirche zu München malte. Heute gilt der Candidplatz – umschlossen vom Mittleren Ring – als eher unwirtlicher Ort. Er ist geprägt durch Gebäude mit dunkel gefärbten Fassaden und die diversen Infrastrukturen. Nun soll an dieser Stelle ein neues Hochhaus entstehen.Der Münchner Merkur titelte Ende November „Neuer Blickfang in München“. Der Autor spricht von spektakulären Plänen niederländischer Star-Architekten. Unter dem Namen Candid-Tor soll ein 64 Meter hoher Turm entstehen. Das Bauvorhaben soll eine Öffnung der Raumsituation ermöglichen und einen Impuls für eine Weiterentwicklung des Areals setzen.
Bei den – so in der Presse betitelten – Star-Architekt*innen handelt es sich um MVRDV aus Rotterdam. Sie entwarfen für den Candidplatz München ein Bauwerk, das aus getürmten, versetzt angeordneten Blöcken besteht. Für den bisher als unattraktiv geltenden Ort, soll so ein lokaler Identifikationspunkt gefunden werden. Statt der grün-gelben Lärmschutzwand soll Architektur den Raum außerdem künftig prägen. Der Bestand wird jedoch nicht vollkommen überplant. Teile der in den Achtzigerjahre-Architektur werden in den neuen Entwurf integriert. Sechs der neun Gebäude – einst als Ärzte- und Bürozentrum erbaut – sollen saniert werden. Nur die drei Gebäude, die sich direkt Richtung Candidplatz orientieren, werden abgerissen. An ihrer statt entsteht der „Stapel-Turm“ für den Candidplatz, wie ihn die Süddeutsche Zeitung nennt. Die Funktionen bleiben weitgehend erhalten. Neben Büroräumen und Praxen sind zudem einerseits Einkaufsmöglichkeiten, Gastronomie und andererseits ein Fitnessstudio vorgesehen. Zu den geplanten sozialen Einrichtungen zählen zudem ein Seniorenzentrum, zweitens eine Kindertagesstätte und drittens ein Kulturzentrum.
MVRDV entwarf Candid-Tor gemeinsam mit Keller Damm Kollegen
Die Freiflächen wollen die Planer*innen zudem gegenüber dem Bestand aufwerten. Über den Dächern Münchens wird außerdem auf dem Candidplatz-Hochhaus eine Aussichtsplattform entstehen. Die Dachterrasse soll frei zugänglich sein. Weiterhin sind sowohl ruhige als auch grüne Innenhöfe mit Aktivitätszonen im Außenraum angedacht. Der Grünzug der Isarhangkante wird zudem aufgenommen und konzeptionell im Areal weitergeführt. Die Gestaltung der Freiflächen übernimmt das Münchner Büro Keller Damm Kollegen. Sie hatten mit MVRDV in der Mehrfachbeauftragung überzeugen können. Im geladenen Verfahren beauftragten die Bauherren ehret + klein und VALUES. Real Estate vier Architekturbüros, Konzepte für den Candidplatz zu erarbeiten. Der Entwurf von MVRDV machte das Rennen. Das international renommierte Büro hat bereits Bauerfahrung in München. So entwarfen und realisierten sie bereits das „Werk 12“. Für dieses erhielten sie den Preis des Deutschen Architekturmuseums für das beste Bauwerk des Jahres. Mit MVRDV und Keller Damm Kollegen beplanen also keinesfalls Unbekannte den zukünftigen Candidplatz.
„Architektonische Ikone für Untergiesing“
Bauherren sind das Hamburger Projektentwicklungs- und Investmentunternehmen Values Real Estate einerseits und das Immobilienunternehmen Ehret und Klein aus Starnberg andererseits. Sie erwarben das Grundstück im Sommer diesen Jahres. Ehret und Klein kennen sich mit großer und visionärer Architektur aus. Im Westend am Heimeranplatz realisieren sie gerade ein Ensemble aus einem Fünfgeschosser und einem Turm mit 14 Etagen. Auch der Umbau des ehemaligen Kaufhauses Beck an der Fürstenrieder Straße geht auf ihr Konto. Und in der Bayerstraße am Hauptbahnhof soll bis 2023 ein neues und DGNB zertifiziertes Büro- und Geschäftshaus entstehen. Das Candid-Tor steht demnach in einer Reihe mit ähnlichen Projekten. Ehret und Klein selbst sprechen von einer architektonischen Ikone für Untergiesing. Sie betonen gleichzeitig, wie wichtig es ihnen sei, die bestehenden Qualitäten des Bestands zu würdigen. Dass MVRDV in ihrem Entwurf 70 Prozente der Bausubstanz von 1984 erhalten wollen, war für die Prämierung somit sicherlich nicht unwesentlich.
Ein Projekt für die Zukunft?
Das Projekt am Candidplatz soll sowohl laut Investor*innen als auch Architekt*innen nicht nur lebendig und multifunktional, sondern auch ökologisch und zukunftsorientiert sein. Als Leitlinie gilt der Cradle-to-Cradle-Ansatz. Im Neubau werden also Materialien verwendet, die ohne Qualitätsverlust immer wieder für dasselbe Produkt wiederverwendet werden können. Auch die Ressourcen der Bestandsgebäude werden außerdem nach bester Möglichkeit recycelt. Der Kreislaufansatz gilt aber nicht nur den Materialien. Generell soll im Sinne einer zirkulären Stadtentwicklung aus einerseits Bestand und andererseits neuer Architektur ein stimmiger Ort entstehen. Thorsten Bischoff, Geschäftsführer von Values Real Estate, spricht von einem grünen, lebenswerten Ort, an dem man sich gerne aufhalte und der durch sein Nutzungsangebot der Bevölkerung im Viertel dienen solle. Ob es dazu kommt, hängt im nächsten Schritt vom Beschluss des Stadtrats und der Einschätzung durch die Kommission für Stadtgestaltung ab.
Stadtgestaltungskommission ist sich uneinig
Laut Süddeutscher Zeitung und offizieller Pressemitteilung von ehret + klein trafen in der Sitzung der Stadtgestaltungskommission Anfang Dezember 2021 sehr unterschiedliche Stimmen aufeinander. Manch eine*r feierte den MVRDV Entwurf als „radikal neu“, andere meldeten sich kritisch zu Wort. So hinterfragte die Amsterdamer Architektin Birgit Rapp unter anderem die „Torfunktion“ beim „Candid-Tor“. Weil es in der Stadtgestaltungskommission keine einheitliche Meinung zu dem Bau am Candidplatz in München gab, soll nun zunächst das Projekt dem Bezirksausschuss vorgestellt werden und dann anschließend über ein Workshop-Verfahren für das Gesamtgebiet (zusammen mit dem städtischen Grundstück südlich der Candidstraße) mit Beteiligten aus Politik und Öffentlichkeit beraten werden. Dies war der Vorschlag und Wunsch von Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Anschließend diskutiert die Stadtgestaltungskommission das Candid-Tor dann erneut. Wie es am Candidplatz in München weitergeht, lesen Sie dann hier bei uns.
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