Schmalkalder Bürger als Bodenbelag-Experte
Die Gestaltung der Innenstadt Schmalkaldens von terra.nova war eins der wichtigsten Naturstein-Projekte der letzten Jahre. In der Fachwerkstadt im Süden Thüringens wurden in den vergangenen zehn Jahren rund 21 000 Quadratmeter Naturstein verlegt. Das Projekt kommt nun zum Abschluss und dank eines übergreifenden Konzepts fügt sich alles zusammen.
Schmalkalden hat eine bewegte Geschichte. Das sieht Stadtplaner Peter Wich schon, als er sich das erste Mal das Luftbild anschaut: Der historische Stadtkern ist im Mittelalter wild gewachsen. Straßen, Gassen und Gebäude entstanden einfach als Antwort auf den jeweiligen Bedarf. Als die Stadt 2002 über ein Wettbewerbsverfahren die Gestaltung des öffentlichen Raums in der Altstadt ausschreibt, ist dem Gründer von terra.nova Landschaftsarchitektur deshalb schnell klar: Dieses Projekt wird für sein Büro ein besonderes, wenn er es gewinnt.
Und tatsächlich überzeugt sein Ansatz die Wettbewerbs-Jury. Wich greift darin die städtebauliche Entwicklung auf, die er schon auf dem Luftbild gesehen hat. Diese teilt sich in zwei wesentliche Phasen: die Entstehung der Alt- und der Neustadt. Er sieht als Bodenbelag überall Natursteinpflaster vor. Das soll auch Stadtgeschichte sichtbar machen: Das eingesetzte Pflaster in Alt- und Neustadt unterscheidet sich in Farbe und Verbandgestaltung und definiert so die beiden Stadtbereiche. Generell, so Wich, galt es „diese geschichtsträchtige Stadt, die durch ihr Fachwerk schon wahnsinnig reich an Elementen ist, nicht zu überformen, sondern ein ruhiges und zugleich differenziertes Erscheinungsbild zu gestalten.“
Bevor er und sein Team anfangen, ein detailliertes Gestaltungskonzept zu entwickeln, nimmt er sich gemeinsam mit dem Weimarer Planungsbüro PAD Zeit für eine detaillierte Analyse des bestehenden Stadtbodens. Es geht darum, wo in früherer Zeit welche Materialien verlegt wurden – und das verwendete Material möglichst wieder aufzugreifen. Nicht überall ist das leicht zu erkennen. In Schmalkaldens Straßen wurden in der DDR-Zeit teilweise großformatig Kunststeinplatten über bestehendes Pflaster verlegt. Später, der Überfahrbarkeit und besseren Begehbarkeit wegen, asphaltierte man Verkehrsstraßen noch mit Schwarzdecke. Besonders das Wissen eines Schmalkalder Bürgers ist neben den Archiv-Unterlagen wertvoll, erinnert sich Wich: „Der Geologe hatte sich intensiv mit dem Thema Natursteine in der Schmalkalder Altstadt befasst und kannte die petrographische Zuordnung. Er konnte auch sagen, aus welchen Steinbrüchen der Region diese Pflastersteine kamen. Die meisten davon waren leider längst stillgelegt.“
90 Prozent skandinavischer Naturstein
Ausgehend von den historischen Belägen entwickelt terra.nova ein Gesamtbodenkonzept für Schmalkalden. Das Konzept berücksichtigt auch die städtebaulichen Entwicklungsstufen. Abgestimmt mit der Denkmalbehörde und dem Landesverwaltungsamt in Weimar grenzt es mögliche Belags-Materialien farbig und in Sachen Oberflächenbearbeitung ein. „Die Herausforderung bestand darin, Naturstein in passender Farbigkeit zu finden. Der Naturstein muss allerdings den heutigen Anforderungen an Witterungsbeständigkeit und Überfahrbarkeit entsprechen“, so Wich. Diese Anforderung sowie finanzielle Aspekte begründen, dass in der Umsetzung der ersten drei Bauabschnitte zu 90 Prozent skandinavischer Naturstein verbaut wurde, zu geringem Anteil auch chinesischer.
Das Material ähnelt petrographisch und farblich sehr den damals verwendeten, heimischen Basalt-, Diabas-, Sandstein- und Konglomeratgesteinsarten. Ein rötliches Material, bestehend aus ortstypischem Fambacher Buntsandstein, ist beispielsweise sehr witterungsanfällig. Es wurde deshalb durch ein nahezu gleichfarbiges Quarzit-Material aus Skandinavien ersetzt. Die Planer haben aber, betont Wich, wo immer es möglich war, vorhandenes oder von der Stadt eingelagertes Material wiederverwendet. Das machte schon aus ökologischen Gründen Sinn.
Wilder Verband in der Altstadt, geordneter Reihenverband in der Neustadt
Schmalkaldens Altstadtkern, willkürlich entstanden, unregelmäßig und verwinkelt gewachsen, gruppiert sich um die Stadtkirche. Straßen und Plätze mit unterschiedlichen Raumprofilen wechseln sich ab. Dort lässt terra.nova einen Teppich aus einer Mischung braun-rotbrauner Granite und Granodiorite mit gesägt-geflammter Oberfläche in wildem Verband verlegen. Den trapezförmigen Altmarkt hebt Wich dabei als zentralen Ort des öffentlichen Lebens mit einem Rahmen aus feinkörnigen Granit-Natursteinplatten hervor. Rund um die Stadtkirche macht der Belag ein Stück Geschichte Schmalkaldens sichtbar. „Dort liegt heute ein wiedereingebautes Lesepflaster, das wir sortieren und nachbehauen ließen und das bei archäologischen Grabungen entdeckt wurde“, so Wich.
Die Neustadt dagegen, bereits angelegt im regelmäßigem Stadtgrundriss, in geraden Straßen und orthogonaler Gestaltung, bekommt als Belag anthrazitfarbenen Granit und Granodiorit. Die Steine werden in geordnetem Reihenverband verlegt und haben ebenfalls eine gesägt-geflammte Oberfläche. Wich erklärt zum Konzept der Umgestaltung: „Durch die Materialentscheidung und die unterschiedliche Verlegeart in Alt- und Neustadt zeigen wir die unterschiedlichen Epochen, ohne dass Schmalkalden ‚auseinanderfällt‘. Wir wollen nicht eine Epoche in den Vordergrund stellen, sondern eben gerade die heutige Gesamterscheinung einer gewachsenen Stadt zeigen.“ Das Ergebnis wirkt stimmig und wurde mit mehreren Preisen ausgezeichnet, unter anderem mit dem Deutschen Landschaftsarchitekturpreis.