Häuser helfen heilen – so lässt sich verkürzt die Kernaussage der aktuellen Ausstellung im Architekturmuseum der TU München zusammenfassen. Ausgehend von wissenschaftlichen Untersuchungen widmet sich die Schau dem Krankenhausbau und wie dessen Gestaltung das Befinden von Patient*innen beeinflussen kann. Dabei gibt es in der Ausstellung nicht nur etwas zu sehen und zu lesen, sondern auch zu riechen.
„Heilende Gerüche“ erriechen
Auf den ersten Blick wirkt die Wand fast wie jede andere. Eine längliche, rechteckige Fläche hebt sich in Farbe und Textur jedoch leicht vom Weiß ab. Was an dieser Fläche noch besonders ist: Streicht man mit den Fingerspitzen über sie, aktiviert das Geruchsmoleküle. Die Wand beginnt zu duften; der Geruch erinnert an Erde oder Moos, vermischt mit etwas anderem, schwerer benennbar. Die Installation „MAKING SENSE“ der norwegischen Künstlerin und Geruchsforscherin Sissel Tolaas kann man in einer Ausstellung erriechen, in der er es um Krankenhausarchitektur geht. Beim Gestalten von Kliniken kann die Geruchskulisse als einer von mehreren Faktoren beeinflussen, wie sich die Architektur auf das Befinden von Patient*innen auswirkt. An der Wand in der Ausstellung soll die Installation von Tolaas nun „heilende Gerüche“ für Besucher*innen erfahrbar machen.
Es soll umgedacht werden
Im Architekturmuseum der Technischen Universität München eröffnete am 11. Juli die Ausstellung „Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft“. Darin geht es um die Architektur von Krankenhäusern und welche Wirkungen – negative wie positive – diese Gebäude auf Menschen haben können. Kurz gesagt: wie entsprechend gestaltete Architektur Kranken beim Gesundwerden helfen kann. Die Ausstellung kuratierten Architekturpsychologin Tanja C. Vollmer, Direktor des Architekturmuseums Andres Lepik und Lisa Luksch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Architekturtheorie und kuratorische Praxis. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist Schirmherr der Schau.
Hintergrund der Ausstellung ist auch ein Manko, das im Krankenhausbau in Deutschland erkannt wird. Nachdem Kliniken im 20. Jahrhundert vor allem auf Effizienz und Ökonomie, Flexibilität und Rationalisierung ausgerichtet gewesen seien, fokussierten sich die Ansätze einer „heilenden Architektur“ inzwischen wieder auf den Menschen. Aber: Solche Ansätze sowie „Evidence Based Design“ – also eine auf wissenschaftlichen Erkenntnissen aufbauende Gestaltung – würden in Deutschland noch nicht breit genug wahrgenommen und angewendet, wie das Museum schreibt. So möchte die Ausstellung ein Umdenken anregen: darin, welche Rolle Architektur im Gesundheitswesen spielt, welche Möglichkeiten und Aufgaben der Bau von Krankenhäusern hat.
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Experimentierfeld für heilenden Architektur: (Noch) nicht das Krankenhaus
Fast wie der Blick durch ein überdimensioniertes Schlüsselloch in ein Krankenzimmer wirkt die Installation am Anfang der Ausstellung. Die Wand linkerhand ist verspiegelt; eine grüne Stoffbahn ist in den Raum abgehängt und trennt ein „Zimmer“ ab. Durch einen großen, kreisrunden Ausschnitt im Stoff schaut man als Besucher*in von hinten auf das Kopfende eines Krankenhausbetts. Die wenigen Elemente genügen, um Assoziationen an ein Patientenzimmer zu wecken. Einblicke in solche Räume gibt im Folgenden auch die Ausstellung. Und um etwas weiteres wird es in der Schau gehen, das die Installation anzudeuten vermag. Der Ausschnitt in der Stoffbahn lenkt den Blick der Besucher*innen. Da man hinter dem Krankenhausbett steht, schaut man in dieselbe Richtung und hat damit auch denselben Ausblick wie ein*e Patient*in in dem Bett. Und das Krankenbett ist zur Fensterfront auf die Wiese vor dem Museum ausgerichtet. Die Besucher*innen nehmen die Perspektive der Patient*innen ein.
Die Ausstellung ist in drei Abschnitte unterteilt. Der erste stellt unter dem Titel „Experiment“ Therapie- und Nachsorgeeinrichtungen vor. Fotos, Pläne, Modelle und Texte auf Deutsch und Englisch, auf großen Aufstellern aus Holz angebracht, vermitteln die Beispiele. Der Titel des Abschnitts bezieht sich darauf, dass diese Einrichtungen als Bauaufgaben weniger stark reglementiert, technisiert und komplex seien als Krankenhäuser – und deshalb schon länger ein Experimentierfeld für heilende Architektur darstellten, so das Museum. Zu den vorgestellten Bauten zählt etwa das REHAB in Basel, eine Klinik für die Rehabilitation von Menschen mit Hirnschädigung und/oder Querschnittlähmung. Der Neubau des REHAB von Herzog & de Meuron eröffnete 2002. Die Projektvorstellungen werden von großen Infografiken, beispielsweise zur Lebensdauer von Krankenhäusern, an den Seitenwänden begleitet.
Diese sieben Faktoren heilender Architektur definierten Forscherinnen
Der zweite und zentrale Abschnitt der Ausstellung setzt sich auch optisch vom ersten ab. Waren die Aufsteller im ersten Teil geschwungen und unregelmäßig geformt, sind die Träger der Beispiele im zweiten Abschnitt rechteckig zugeschnitten. Die Farbgebung ist hier eng mit der inhaltlichen Gliederung verknüpft.
Mit „Evidenz“ betitelt, stellt dieser Abschnitt Evidence Based Design oder evidenzbasierte Gestaltung vor, ebenso wie die „heilenden Sieben“. Diese meinen Faktoren in der Krankenhausarchitektur, die das Stressempfinden von schwer und chronisch Kranken beeinflussen können. Um solchen schädigenden Stress zu reduzieren, können besagte Umgebungsfaktoren beim Gestalten der Häuser miteinbezogen werden.
Die heilenden Sieben gehen auf die wissenschaftlichen Untersuchungen von Vollmer und der Architektin Gemma Koppen zurück. Sie untersuchten über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren den Einfluss, den die Umgebung in Krankenhäusern auf die Stresswahrnehmung von schwer und chronisch Kranken hat. Im vergangenen Jahr definierten Vollmer und Koppen dann die folgenden „heilenden Sieben“:
- Orientierung
- Geruchskulisse
- Geräuschkulisse
- Privatheit und Rückzugsraum
- Power Points
- Aussicht und Weitsicht
- Menschliches Maß
Wenn Besucher*innen nah an der Wand stehen
In Vorbereitung der Ausstellung hatten Masterstudierende der TUM nationale und internationale Krankenhausprojekte im Hinblick auf diese sieben Faktoren analysiert. Die 13 in der Ausstellung vorgestellten Projekte sind je einem der heilenden Sieben zugeordnet. Das Farbkonzept der Aufsteller – jedem der Faktoren ist eine Farbe zugeordnet – greift das visuell auf.
Unter den vorgestellten Projekten im zweiten Teil der Ausstellung ist etwa das Krankenhaus Agatharied im bayerischen Hausham, entworfen von Nickl und Partner und 1998 fertiggestellt. Zu den internationalen Beispielen zählen das Friendship Hospital Satkhira im Südwesten Bangladeshs von Kashef Chowdhury/URBANA (2018) sowie das Bürgerspital Solothurn in der Schweiz von Silvia Gmür Reto Gmür Architekten (2021). Im Bereich dieses Abschnitts wird man auch auf Besucher*innen stoßen, die ungewohnt nah an der Wand stehen – um an der eingangs erwähnten Geruchsinstallation von Sissel Tolaas zu riechen.
Mit heilender Architektur zu menschenzentrierten Krankenhausbauten
Der Schluss der Ausstellung ist offen gestaltet, im wörtlichen Sinne: In einem sogenannten Forum sollen sich Besucher*innen untereinander sowie mit Expert*inne, beim Ausstellungsbesuch oder in Veranstaltungsformaten austauschen können. Es liegt Literatur zum Thema aus, an einem großen runden Tisch lässt sich in dieser schmökern oder gleich diskutieren. Eine weitere Geruchsinstallation von Sissel Tolaas in Form mehrerer durchscheinender Stoffbahnen hängt am Ende dieses Raumes; hinter ihnen laufen Videobeiträge auf Bildschirmen. In diesem Forum soll der Status quo, Lösungen sowie eine menschenzentrierte Zukunft von Krankenhausplanung und -bau gemeinsam diskutiert und gestaltet werden, wie das Museum schreibt.
Die Ausstellung im Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne läuft bis zum 21. Januar 2024. Die Pinakothek hat außer montags täglich von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr geöffnet.
„Das Kranke(n)haus. Wie Architektur heilen hilft.“
Architekturmuseum der TUM in der Pinakothek der Moderne, München
12. Juli 2023 bis 21. Januar 2024
Kurator*innen: Tanja C. Vollmer, Andres Lepik, Lisa Luksch
Kuratorische und wissenschaftliche Mitarbeit: Zeynep Ece Sahin, Friedrich Mönninger
Ausstellungsarchitektur: IMS Studio und Friederike Daumiller
Grafikdesign: strobo B M
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog.
Bleiben wir beim Thema: Bayerns größtes Bauprojekt ist ein Krankenhaus. Mehr zur Neugestaltung, an der auch das Büro SINAI beteiligt ist, erfahren Sie hier: Klinikum Großhadern.