Diesen provokanten Titel trägt die Eröffnungsausstellung der Klassik Stiftung Weimar zum Themenjahr 2021. In der Ausstellung „Ich hasse die Natur“ wird unser Verhältnis zur Natur thematisiert. Die Ausstellung regt an zu fragen, was genau Natur ist und was in Zukunft daraus wird. Sie läuft noch bis Ende September 2021.
Thomas Bernhard: „Ich hasse die Natur“
Von Goethe bis zum Bauhaus reichten die Themen, denen sich die Klassik Stiftung Weimar bisher widmete. Damit galt sie als Verwalterin des Schönen. Das ändert sich in diesem Jahr. Unter dem Titel „Ich hasse die Natur“ spürt das Schiller-Museum dem schwierigen Verhältnis von Mensch und Natur nach. Die Ausstellung ist Teil des Themenjahres „Neue Natur“. Sie will zum Nachdenken anregen und Diskussionen provozieren. Sie läuft noch bis zum 26. September 2021.
Die Ausstellung „Ich hasse die Natur“ setzt den idyllischen Weimarer Parkanlagen einen Kontrast entgegen. Sie thematisiert, dass die Natur dem Menschen auf vielfältige Art und Weise begegnet. Natur kann bedrohlich sein, erscheint mitunter beherrschbar und zugleich faszinierend. Auch wir Menschen sind Teil der Natur. Dennoch möchten wir uns von ihr abgrenzen. Wir wollen etwas anderes sein, wollen mehr als Natur sein, ihr nicht ausgeliefert sein, sie vielmehr bewundern und benutzen. Aber: Wir beuten sie aus und möchten gleichzeitig im Einklang mit ihr stehen.
Die Gärten von Weimar
Diesem Spannungsfeld widmet sich die Eröffnungsausstellung des Themenjahres. Der Titel „Ich hasse die Natur“ geht auf einen Ausruf des österreichischen Schriftstellers Thomas Bernhard zurück. Hinter seinem Satz steckt aber nicht nur Ablehnung. Der Ausruf verweist vor allem auf die Beziehung des Menschen zu dem, was er Natur nennt. Und genau dieser Beziehung geht die Ausstellung nach. Sie fragt also: Wie beherrscht uns die Natur? Wie beherrschen wir sie? Und wie wird unsere gemeinsame Zukunft aussehen?
Eigentlich ist Weimar und die dort ansässige Klassik Stiftung nicht bekannt für provozierende Fragestellungen. Vielmehr ist die Stadt für ihre Gartenanlagen berühmt. Die ziehen sich unter anderem an den Ufern des Flusses Ilm entlang. Auf einer Strecke von mehreren Kilometern erstreckt sich hier ein Englischer Garten. Er lebt von der weiten Auenlandschaft, die von alten Bäumen und malerisch gruppierten Sträuchern geprägt ist. Die Anlage des Gartens geht auf das Jahr 1778 zurück. Seitdem entwickelte sie sich zum Sinnbild der Harmonie zwischen Mensch und Natur. Daran hat auch Johann Wolfgang von Goethe seinen Anteil. Denn der Dichter war nicht nur Liebhaber und Kenner von Pflanzen. Er engagierte sich auch in der Planung dieses Parks, in der Kreation einer idealen Natur, die vollkommener wirkte als die Natur, der sie abgewonnen wurde.
Auftakt zur Ausstellung
Die Ausstellung „Ich hasse die Natur“ im Schiller-Museum ist also Schauplatz einer Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur. Sie startet in einer Arena, die mit elf Beamern bespielt wird. Über den Boden projizieren sie Meereswellen und an den Wänden ziehen Möwen vorbei. Hier simuliert die Ausstellung einen Ort in Indien, eine unberührte Küstenlandschaft. Je mehr Menschen in diesen Raum strömen, umso mehr verwandelt sich diese Landschaft. Sie wird zu einem vom Menschen geformten Industriehafen. Am Ende ist kein Stück Natur mehr übrig. Mit dem Auftakt führt die Ausstellung „Ich hasse die Natur“ eindrücklich vor, dass die bloße Anwesenheit von Menschen in einem Raum dazu führt, dass sich die Umwelt dort verändert. In der Ausstellungssituation läuft kein vorgefertigtes Video ab. Vielmehr reagiert die Projektion darauf, wie viele Menschen im Raum sind und passt das Gezeigte entsprechend an.
Themen, Formate und Exponate
Die Ausstellung im Schiller-Museum belegt drei Räume. Je ein Raum thematisiert einen Aspekt des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur. Die Exponate setzen sich aus Werken zeitgenössischer Kunst, aus medial aufbereiteten Texten der Literatur und Objekten zusammen. Letztere stammen sowohl aus den Beständen der Klassik Stiftung als auch internationaler Sammlungen.
Was tun wir einander an?
Im ersten Teil der Ausstellung geht es um Schönheit und Schrecken der Natur. Darüber hinaus wird thematisiert, welche Macht Natur über Menschen hat. Es geht um Altern, Krankheit und Tod. Zu den Exponaten gehört Goethes letzte Medizinflasche ebenso wie Nietzsches Krankenstuhl. Daneben zeigt ein Video die Verwesung eines Hasen im Zeitraffer. Hier wird auch die komplexe Ordnung der Natur anhand der Replikation der DNA als Gesamtkunstwerk thematisiert.
Im zweiten Raum von „Ich hasse die Natur“ wird gefragt, was der Mensch der Natur antut. Dabei hilft das Kunstwerk von Swantje Güntzel. Es ist eine Art Kaugummiautomat, in dem durchsichtige Kugeln mit Plastikspielzeug liegen. Die Künstlerin hat diese aus Mageninhalten von Lebewesen aus dem Nordpazifik gesammelt. Diese Inhalte haben die Tiere umgebracht. Leider sind die nichts anderes, als wertloses Kinderspielzeug, das überall auf der Welt verkauft wird. In diesem Teil der Ausstellung sind auch Bilder in Video- und Audiostationen mit Literatur und Lyrik verknüpft. So wird beispielsweise das Gedicht „Durchgearbeitete Landschaft“ von Volker Braun über den Tagebau mit Aufnahmen von Schönheitsoperationen verknüpft. Beide zeigen erstens Zerstörungen, zweitens Operationen und drittens Eingriffen, die die Menschen sich und der Natur antun.
In „Ich hasse die Natur“ geht es nicht darum, mit dem Zeigefinger auf den Menschen und seine Spuren auf dem Planeten zu zeigen. Die Natur wird gleichzeitig als verwundbar und schwach präsentiert. Die Ausstellung will vielmehr das Verhältnis zwischen diesen zwei Kräften untersuchen. Vor diesem Hintergrund sind im dritten und letzten Teil drei verschiedene Zukunftsszenarien präsentiert. Und in denen spielt nicht nur der Mensch eine Rolle. Mehr dazu vor Ort.
Lust auf einen weiteren Ausstellungstipp? Im Heerlener (NL) SCHUNCK läuft 2021 die Ausstellung „Landscape Works with Piet Oudolf and LOLA“.