11.02.2019

Projekt

„In Regensburg ist Umdenken nötig.“

In der aktuellen Ausgabe der Garten + Landschaft zum Thema „Bahnhofsviertel“ berichten wir über die Umgestaltung der Bahnhöfe von Arnheim, Augsburg, London und Dortmund. Während Arnheim und London sich in den letzten Zügen ihrer Finalisierung befinden, gehen Augsburg und Dortmund in die Realisierungsphase. Das Großprojekt zur Umgestaltung des Regensburger Bahnhofs gerät gerade erst ins Rollen und muss die Weichen noch stellen. Dabei scheint die Stadt sämtliche Ziele gleichzeitig zu verfolgen.

Ziele der Regensburger Umgestaltung (Alle Bilder: Stadt Regensburg).
Denn bislang ist das Bahnhofsumfeld vor allem durch Flächen für den Pkw dominiert.

Baustein “Stadtraum gemeinsam gestalten”

Die Stadt Regensburg hat eine Mammutaufgabe vor sich. Sie will das Umfeld des Hauptbahnhofs und damit den Zugang zur Altstadt durch ein großmaßstäbliches Planungskonzept von Grund auf neu strukturieren – inklusive Verkehr, Nutzungen und Freiräumen. Handlungsbedarf besteht genug: Das komplette Bahnhofsumfeld unterliegt massiven Verkehrsbelastungen. Die viel befahrenen Straßen zerschneiden das Areal, die Situation auf dem Zentralen Omnibusbahnhof, direkt vor dem Bahnhofsgebäude, ist unübersichtlich und nicht nur für Ortsfremde schwer zu überblicken. Von der mangelhaften Barrierefreiheit ganz zu schweigen. Die Wege in die Altstadt führen durch einen Grüngürtel, der eher den Charme einer Verkehrsinsel hat und vornehmlich als Durchgangsort dient – ausgenommen für die Bahnhofs-typischen, sozialen Gruppen wie Obdachlose, Punks, Alkohol- und Drogenabhängige.

Für die Umgestaltung legt die Stadt Regensburg großen Wert auf einen vollumfänglichen Beteiligungsprozess namens “Stadtraum gemeinsam gestalten”. 2017 fanden die ersten zwei Ideenwerkstätten statt, bei denen sich die Bevölkerung aktiv mit einbringen konnte. Unterstützt wurde die Stadt von zwei interdisziplinäre Planungsteams, jeweils besetzt aus den Disziplinen Verkehr, Städtebau, Freiraumplanung und Architektur, sowie von den zwei Kommunikationsbüros nonconform aus Wien und Büro für urbane Projekte aus Leipzig. Die Ergebnisse der Workshops bilden die Grundlage des Großprojekts. Dabei besonders im Fokus: die Entwicklung des Areals zum Fußgänger- und Fahrrad-freundlichen Terrain, die Neuordnung des ÖPNVs und die Entwicklung der Grünflächen zu Aufenthaltsräumen – letzteres lag besonders den Bürgern am Herzen.

Übernimmt sich die Stadt?

Der angedachte Planungszeitraum? Vier Jahre. Die Stadt hofft 2023 mit der Umsetzung des Gesamtprojekts starten zu können. Nicht schlecht, denkt man sich da. Obwohl die inhaltlichen Ziele freilich eher solide und nicht unbedingt innovativ sind. Aber das müssen sie vielleicht auch gar nicht sein, wenn es anschließend funktioniert. Was dann aber doch überrascht, ist, dass die Stadt Regensburg zusätzlich zu ihren Planungen am Hauptbahnhof auch noch eine Stadtbahn, ein modernes Straßenbahnsystem, für die Gesamtstadt einführen möchte. Innerhalb von zehn bis zwölf Jahren. Und auf die dem Bahnhof vorgelagerte Pkw-Tiefgarage möchte man aber ebenso nicht verzichten. Fußgänger- und Radverkehr-freundlich, ein vollumfassender ÖPNV-Knotenpunkt, der Bahnhof mit Stadt und Region verbindet, Stellplätze für Pkws und zu guter Letzt auch noch der Anschluss an eine kommende Stadtbahn – man fragt sich unweigerlich: Ist das der richtige Ansatz? Auf alle Mobilitäts-Pferde gleichzeitig zu setzen? Wir haben direkt bei der Planungs- und Baureferentin Christine Schimpfermann nachgefragt.

 

Interview mit der Regensburger Planungs- und Baureferentin Christine Schimpfermann

Christine Schimpfermann (*1962 in Kempten im Allgäu) studierte Architektur an der Technischen Universität München. Sie ist seit 2005 Planungs- und Baureferentin und berufsmäßige Stadträtin in Regensburg.
Gemeinsam mit ihrem Team steuert Christine Schimpfermann die Entwicklung des Regensburger Hauptbahnhofs

“Das klingt vielleicht nicht so ideologisch, wie Sie es gerne hören möchten, aber allein dafür ist in Regensburg ein großes Umdenken nötig.”

Frau Schimpfermann, Sie haben in den kommenden Jahren viel vor für die Stadt Regensburg. Was ist Ihre Vision für den Hauptbahnhof?
Unsere Aufgabe ist es, die Nahmobilität für die Stadt und Region Regensburg zu stärken. Hierzu gehören attraktive Umsteigebeziehungen, eine gute Übersichtlichkeit und eine mobilitätsaffine Infrastruktur. Wir möchten deutlich machen, dass der öffentliche Verkehr hier Schwerpunkt hat. Der Pkw-Verkehr soll zurückgedrängt werden, der Fußgänger Vortritt haben. Die Busse müssen natürlich angeschlossen sein, dafür aber besser geordnet als heute, besser auffindbar. Gleichzeitig ist es unser Ziel möglichst viele der Flächen vor dem Bahnhof den Fußgängern zurückzugeben. Und wir wollen – und ich denke, das ist der große Quantensprung zu heute – attraktive Nutzungen am Bahnhof installieren, sodass die Besucher und Bewohner den Bahnhof und sein Umfeld nicht allein als Transitstrecke empfinden. Sie sollen den Raum gezielt aufsuchen, ihn nutzen und sich hier aufhalten.

Sie wollen den Pkw-Verkehr zurückdrängen, gleichzeitig planen Sie für den Bahnhofsvorplatz eine Tiefgarage. Wie passt das zusammen?
Wir können bei einem Verkehrsknotenpunkt wie dem Hauptbahnhof den Individualverkehr nicht komplett herauskürzen. Wir müssen die entsprechenden Verknüpfungen sicherstellen – auch ins Umland, wo man auf den Pkw vielfach angewiesen ist. Dies funktioniert unter anderem über Park and Ride Funktionen. Es ist nicht unser vordergründiges Ziel, Mobilität vorzugeben, aber es soll deutlich werden, dass derjenige, der mit dem Pkw in den Bereich einfährt, es künftig nicht mehr so bequem hat wie heute. Das klingt vielleicht nicht so ideologisch, wie Sie es gerne hören möchten, aber allein dafür ist in Regensburg ein großes Umdenken nötig. In der Vergangenheit hatte das Auto in Regensburg immer Vorrang. Das wollen wir umkehren, ohne dabei den Pkw komplett zu verbannen. Um die Verkehrsberuhigung zu erreichen, soll die Erreichbarkeit des Bahnhofsumfelds für das Auto – anders als heute – nur noch konzentriert von wenigen Richtungen aus erfolgen. So bleibt der Hauptbahnhof anfahrbar und zugleich ist eine verkehrliche Entlastung möglich. Die Tiefgarage verhilft uns dazu, anstelle notwendiger Parkplätze im öffentlichen Raum, attraktive Freiräume auszubilden.

Bestandsanalyse: Die Situation auf dem Zentralen Omnibusbahnhof, direkt vor dem Bahnhofsgebäude, ist unübersichtlich.
Fußgänger- und Radfahrerfreundlichkeit sieht anders aus...

“Letztlich geht es darum, die Grünräume in ihrer Aufenthaltsqualität zu stärken und zugleich den ÖPNV attraktiv zu gestalten.”

Also denken Sie sämtliche Mobilitätsträger mit. Wäre es nicht zielführender, einen verstärkt zu fördern?
Wir haben in Regensburg knapp 170 000 Einwohner und einen Landkreis mit circa 200 000 Einwohnern, die dort aber sehr dispers angesiedelt sind. Wir können nicht auf einen einzigen Mobilitätsträger setzen, weil wir für die gesamte Region Regensburg mitdenken müssen.

Deshalb braucht die gesamte Region auch eine Stadtbahn?
Die Stadtbahn begreifen wir als Stadtentwicklungsmaßnahme, die wir bereits jetzt, in drei Ästen, planen. Wir entwickeln sie losgelöst, aber natürlich dennoch mit dem Hauptbahnhof verknüpft, da sie das Areal verkehrlich noch einmal neu definieren wird. Wir denken für das Bahnhofsumfeld daher in zwei Schritten – mit Stadtbahn und für eine Zeit bis zur Einführung des höherwertigen ÖPNV-Systems.

Für die Vorplanungen zur Bahnhofsumgestaltung hat die Stadt 2017 zwei große Ideenwerkstätten veranstaltet. Was sind die Themen, die die Bevölkerung beschäftigen?
Das ist insbesondere der Grüngürtel vor dem Bahnhof. Es kam immer wieder die Aufforderung, so wenig wie möglich in diesen einzugreifen. Es gibt natürlich auch diejenigen, die für keinerlei Veränderungen sind und die Notwendigkeit eines attraktiven ÖPNV nicht sehen. Letztlich geht es darum, die Grünräume in ihrer Aufenthaltsqualität zu stärken und zugleich den ÖPNV attraktiv zu gestalten. Ganz ohne Eingriffe wird dies aber nicht möglich sein. Einen weiteren zentralen Diskussionspunkt stellte außerdem das Kultur- und Kongresszentrum dar, das für den Bahnhofsnahen Ernst-Reuter-Platz vorgesehen war.

Das Kultur- und Kongresszentrum, das dann per Bürgerentscheid im Oktober 2018 gestoppt wurde?
Ja, genau dieses. Leider.

Die Stadt Regensburg legt von Anfang an viel Wert auf Beteiligung und dann wird eine Markante des Großprojekts per Bürgerentscheid gestoppt. Ist das ein Zeichen dafür, dass sich die Bürger eben doch nicht gut abgeholt gefühlt haben?
Das Thema „Kultur- und Kongresszentrum“ und die Stadt Regensburg haben eine Geschichte, die weit bis in die 1980er-Jahre hineinreicht. In den vergangenen dreißig Jahren gab es bereits vier Bürgerentscheide hierzu. Ursprünglich gegen einen Standort, der heute von dem Museum der Bayerischen Geschichte besetzt ist, jetzt gegen den Standort am Ernst-Reuter-Platz. Das Projekt ist und bleibt in Regensburg ein Sonderthema.
Die Planungen zur Verkehrs- und Freiflächenentwicklung werden wir entsprechend anpassen und für den Bereich Ernst-Reuter-Platz zunächst etwas offener gestalten. Die konkreten Mobilitätsthemen sind vom Ausgang des Bürgerentscheids nur am Rande betroffen.

Welche anderen Nutzungen sind für den Bahnhof angedacht?
Wir planen aktuell mit Funktionsgebäuden, in denen auch Bahnhofs-ergänzende Nutzungen untergebracht werden sollen – als Anlaufstelle für die verschiedensten öffentlichen oder halböffentlichen Nutzungen. Ein großes Fahrradparkhaus ist ebenso geplant mit Fahrradverleih und möglicherweise einer Fahrradserviceeinrichtung. Und natürlich richten wir den Blick auf die Grünflächen, die ja bereits heute da sind, aber kaum genutzt werden. Hier möchten wir durch einzelne Interventionen zum Aufenthalt anregen.

“Man nimmt sich dem Thema ‘Neue Qualität im Bahnhofsumfeld’ aktiv an und es ist positiv in der Bevölkerung besetzt.”

Was denken Sie, welche Herausforderungen kommen in den nächsten Jahren auf Sie zu?
Einer der größten Knackpunkte wird es sein, dass uns nicht der Atem ausgeht. Sowohl in der Verwaltung, in der Finanzierung, aber auch in der Bevölkerung und Politik. Aktuell bemerke ich eine Art Aufbruchsstimmung in der Stadt. Man nimmt sich dem Thema „Neue Qualität im Bahnhofsumfeld“ aktiv an und es ist positiv in der Bevölkerung besetzt. Dass das auch über die vielen Planungsjahre trägt, das ist eine der Hauptherausforderungen.

Wie geht es nun weiter? Was steht 2019 an?
Aktuell arbeiten wir an der Ausschreibung für ein kombiniertes Planungsbüro, dass für uns ein verkehrliches Konzept erarbeitet, das direkt mit dem Freiraum verzahnt ist. Wir haben eine EU-weite Vergabe und insofern sehr lange Fristen. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir das im ersten Halbjahr realisieren können. Parallel läuft eine Ausschreibung für ein Kommunikationsbüro, das uns dabei berät, wie wir weiterhin so nah am Bürger bleiben und das gleichzeitig die verkehrlichen Rahmenbedingungen mit dem öffentlichen und politischen Meinungsbild abstimmt. Natürlich möchte der Stadtrat genau wissen, was für Auswirkungen unsere jeweiligen Planungen haben. Außerdem möchten wir die einzelnen Bausteine identifizieren, die wir für das Gesamtprojekt brauchen und diese in eine zeitliche Reihenfolge bringen.
Die Tiefgarage kommt sicherlich zuerst. Danach sollten wir den ZOB mit den zugehörigen Funktionsgebäuden und das Fahrradparkhaus bauen können. Alle Überlegungen sind darüber hinaus auch stets abhängig von den Planungen zur Stadtbahn. Das werden wir nun alles mit der notwendigen Dynamik aber auch im stetigen fachlichen Diskurs angehen.

Mehr zum Projekt finden Sie hier, auf den offiziellen Seiten der Stadt Regensburg.

Und zur Februarausgabe der Garten + Landschaft zum Thema “Bahnhofsquartiere” geht es hier.

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