25.09.2022

Projekt

Invalidenpark und Tilla-Durieux-Park – Learning from the 90s

In dem Entwurfsprojekt "Learning from the 90s" entwickelten Studierende neue Ideen für zwei ikonische Projekte aus den 90ern: den Invalidenpark und den Tilla-Durieux-Park. Foto: studio polymorph
In dem Entwurfsprojekt „Learning from the 90s“ entwickelten Studierende neue Ideen für zwei ikonische Projekte aus den 90ern: den Invalidenpark und den Tilla-Durieux-Park. Foto: studio polymorph

Die Landschaftsarchitektur steht vor einem Wandel: Während die 90er-Jahre nach Ästhetik strebten und mit Rasenskulpturen und roten Kränen Aufsehen erregten, versucht die Profession heute, Antworten auf die großen Herausforderungen wie Klimawandel, Artensterben und Flächenknappheit zu finden. Die Zeiten scheinen ernsthafter geworden und die lustvollen Entwürfe aus den 90er-Jahren nicht mehr zeitgemäß zu sein, oder?

Lioba Lissner und Stefan Bernard, Landschaftsarchitekt*innen und Dozent*- innen an der Berliner Hochschule für Technik (BHT), betreuten das Entwurfsprojekt „Learning from the 90’s“, in dem sich die Studierenden der Landschaftsarchitektur ein Semester lang mit den Ansätzen und Entwürfen der 90er-Jahre auseinandersetzten. Gemeinsam mit den Dozent*innen entwickelten die Studierenden neue Ideen für zwei ikonische Projekte aus dem Jahrzehnt: den Invalidenpark und den Tilla-Durieux-Park.

Ist das Kunst, oder kann das weg?

Beide gebauten Projekte stehen für die Berliner Landschaftsarchitektur der 90er-Jahre, für das Jahrzehnt nach dem Mauerfall, als sich die deutsche Hauptstadt der Welt und dem Neuen öffnete. Freiheit war das große Schlagwort der Zeit, und entsprechend mutig waren die Entwürfe der meist ausländischen Landschaftsarchitekt*innen. Über den Mut von damals und die heutige Ernsthaftigkeit sprachen wir mit vier Studierenden und den zwei Dozent*innen des Semesterentwurfs „Learning from the 90’s“. Wir wollten wissen, was die Studierenden von den 90er-Jahren lernen konnten, und der Frage nachgehen, ob es sich lohnt, den Invalidenpark und den Tilla-Durieux-Park zu erhalten – gemäß der Frage: Ist das Kunst, oder kann das weg?

In dem Entwurfsprojekt "Learning from the 90s" entwickelten Studierende neue Ideen für zwei ikonische Projekte aus den 90ern: den Invalidenpark und den Tilla-Durieux-Park. Foto: studio polymorph
Das Gespräch fand in den Räumen des Landschaftsarchitekturbüros studio polymorph statt. Stefan Bernard, einer der beiden Dozent*innen, ist Gründer des Büros. Foto: studio polymorph

Weniger Freiraum im Entwerfen

Die Zeiten von damals könne man mit den heutigen schwer vergleichen: Parameter wie Flächenknappheit, Klimawandel und Planungskommunikation hätten das Entwerfen im Vergleich zu vor 30 Jahren gewandelt, so die Studierenden. „Ich denke, dass sich die Parameter deutlich verändert haben. Wo in den 90er-Jahren Freiraum war, ist heute kein Freiraum mehr. Daran erkennen wir die Flächenknappheit in unseren Städten“, so Leonard Kerstein, ein Student aus der Gesprächsrunde. Die Frage, ob die Flächenknappheit ein Grund für den fehlenden entwurflichen Mut sei, ob man es sich heute schlichtweg nicht mehr leisten könne, dass Projekte scheitern, bejaht Leonard Kerstein mit einem vorsichtigen „wahrscheinlich ja“. Er vermutet auch, dass die Kritik von Seiten der Bürger*innen bei misslungenen Projekten heute größer sei als vor etwa 30 Jahren.

künstlerische Ausdruck stand im Vordergrund

Auch der Klimawandel habe Bürger*innen für Planungen in der eigenen Nachbarschaft sensibilisiert. „Wenn heute Projekte realisiert werden, sind die Anwohner*innen darauf bedacht, dass ihre gestaltete Umwelt etwas für das Klima leistet“, so Leonard Kerstein. Dem stimmt auch Sirin Dittrich zu. Sie studiert im sechsten Semester Landschaftsarchitektur. „In den 90er-Jahren hatten die Landschaftsarchitekt*innen den Drang, einzigartige Parks zu gestalten. Die künstlerische Ausdruckskraft stand im Vordergrund. Das ist heute nicht mehr der Fall. Das Hauptaugenmerk liegt heute eher auf Nachhaltigkeit.“

Die Neugestaltung beziehungsweise Restaurierung des Tilla-Durieux-Parks war Gegenstand des Entwurfsprojekts an der Hochschule für Technik in Berlin. Die Studentin Sara Thiele gestaltete in ihrem Entwurf den Park nach der sogenannten Miyawaki Methode.
Die Neugestaltung beziehungsweise Restaurierung des Tilla-Durieux-Parks war Gegenstand des Entwurfsprojekts an der Hochschule für Technik in Berlin. Die Studentin Sara Thiele gestaltete in ihrem Entwurf den Park nach der sogenannten Miyawaki Methode. Abbildung: Sara Thiele
Der Tilla Durieux Park soll nach dem Entwurf von Sara Thiele zu einem Waldgarten umgestaltet werden.
Der Tilla Durieux Park soll nach dem Entwurf von Sara Thiele zu einem Waldgarten umgestaltet werden. Abbildung: Sara Thiele
In der Mitte des Parks soll eine Skulptur stehen.
In der Mitte des Parks soll eine Skulptur stehen. Abbildung: Sara Thiele
Entwurf „Raster im Raster“ von Simeon von Russow, Abbildung: Simeon von Russow
Entwurf für den Tilla Durieux Park in Berlin von Simeon von Russow, Abbildung: Simeon von Russow
Der Entwurf entwickelt die „gepflegte“ Rasenskulptur weiter. Aus den Gitterstrukturen wächst zukünftig eine wilde Vegetation.
Der Entwurf entwickelt die „gepflegte“ Rasenskulptur des Tilla Durieux Parks weiter. Aus den Gitterstrukturen wächst zukünftig eine wilde Vegetation. Abbildung: Simeon von Russow

Zwischen Experimentieren und baulicher Realität

Doch nicht nur die Kritik und das Bewusstsein für Nachhaltigkeit veränderten sich seit den 90er-Jahren, sondern auch die Haltung der meisten Landschaftsarchitekt*innen: DS Landschapsarchitecten, die Entwerfer*innen des Tilla-Durieux-Parks, setzten zum Beispiel ihre Gestaltungsidee trotz großer Kritik durch. Den Kampfgeist findet Simeon von Russow, Landschaftsarchitekturstudent im vierten Semester, inspirierend: „Eigentlich waren
alle gegen das Projekt, und man legte DS Lanschapsarchitecten viele Hindernisse
in den Weg. Doch sie haben bis zum Schluss für ihre Idee gekämpft. Das finde ich persönlich sehr inspirierend. Das ist, glaube ich, der 90ies-Spirit, den wir aus dem Semesterprojekt mitnehmen können.“

Sara Thiele kann die Begeisterung nur bedingt teilen. Sie studiert Landschaftsarchitektur im sechsten Semester und bewundert auch den Einsatz von DS Landschapsarchitecten für den Tilla-Durieux-Park. Allerdings zeige der Park einige Mängel auf, die man aus ihrer Sicht mit guter Kommunikation hätte verhindern können. Zum Beispiel funktionieren die Rasenkanten nicht, und man habe die Pflege nicht mitgedacht. Die Diskrepanz zwischen dem Experimentieren und der baulichen Realität sei ein Problem bei vielen Projekten aus den 90er-Jahren gewesen, ergänzt der Student Simeon von Russow. Als Beispiel nennt er den Schouwburgplein in Rotterdam von West 8.

Im Rahmen eines Entwurfsprojekts setzten sich die Studierenden der Hochschule für Technik in Berlin mit dem Invalidenpark auseinander. Hier zu sehen der Entwurf „Blickwechsel“ von Sirin Dittrich.
Im Rahmen eines Entwurfsprojekts setzten sich die Studierenden der Hochschule für Technik in Berlin mit dem Invalidenpark auseinander. Hier zu sehen der Entwurf „Blickwechsel“ von Sirin Dittrich. Abbildung: Sirin Dittrich
Der Entwurf von Sirin Dittrich greift das Element der „sinkenden Mauer“ von Christophe Girot auf.
Der Entwurf von Sirin Dittrich greift das Element der „sinkenden Mauer“ von Christophe Girot auf. Abbildung: Sirin Dittrich
Der Entwurf „Zick zack“ von Leonard Kerstein
Der Entwurf „Zick zack“ von Leonard Kerstein, Abbildung: Leonard Kerstein
Der Entwurf erhält den Mauerbrunnen als standortdefinierendes Element.
Der Entwurf erhält den Mauerbrunnen als standortdefinierendes Element. Abbildung: Leonard Kerstein

Invalidenpark: ,State of the Art‘ der Landschaftsarchitektur

Anders als beim Schouwburgplein und dem Tilla-Durieux-Park weist der Invalidenpark kaum bauliche Mängel auf. Er funktioniert im Sinne der Entwürfe von Atelier Phusis und Christophe Girot. Das Wasserbassin mit Monument und die Rasenflächen, die in eine Platzsituation münden, sind zwar in die Jahre gekommen, aber noch intakt. Dass sich die Studierenden mit dem Invalidenpark auseinandersetzen mussten, ist kein Zufall. Der Park begleitet die Dozentin Lioba Lissner schon seit Beginn ihres Studiums. Damals stand das Projekt in ihren Augen für die damalige ,State of the Art‘ der Landschaftsarchitektur und war nicht zu hinterfragen. Lioba Lissner, inzwischen Inhaberin des Büros hochC, dachte lange Zeit, sie müsse erst lernen, den Invalidenpark gut zu finden. Tatsächlich kann sie dem Park heute mehr abgewinnen als noch zu Studienzeiten.

Reicht ein sperriges Kunstwerk als Alleinzweck?

Ähnlich geht es auch Stefan Bernard mit dem Tilla-Durieux-Park. Auch wenn er – wie er sagt – seinen Frieden mit dem Park gemacht habe, sei er gespalten, ob der Park in seiner heutigen Form erhalten werden sollte. „Der Tilla-Durieux-Park spaltet. Diejenigen, die damals mit dabei waren, verteidigen ihn und erklären ihn zu einem Gartenkunstwerk. Diejenigen jedoch, die ihn täglich pflegen müssen, sehen das gänzlich anders. Letztendlich ist der Park eher das, was für manche Kunstwerke gilt: sperrig. Das ist seine außergewöhnliche Qualität. Doch reicht das als Alleinzweck?“ Die Frage konnte in dem Gespräch nicht abschließend beantwortet werden. Am Ende sei es ein Ausbalancieren der verschiedenen Nutzungen, so Lioba Lissner.

Ebenfalls interessant: Der alte Spreepark in Berlin soll renoviert werden – und damit nachhaltiger werden.

Scroll to Top