11.10.2022

Projekt

Klimaschutz dank Kleingartenanlagen

Jürgen Pietsch erläuterte in Hamburg, wie städtische Böden CO2 dauerhaft speichern könnten. Kleingartenanlagen würden so einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.
Jürgen Pietsch erläuterte in Hamburg, wie städtische Böden CO2 dauerhaft speichern könnten. Kleingartenanlagen würden so einen erheblichen Beitrag zum Klimaschutz leisten. Foto: Dan Mihai Pitea via Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0

Der Stoff, der Kohlenstoffdioxid dauerhaft im Boden hält: Prof. Dr.-Ing. Jürgen Pietsch und Dr.-Ing. Heino Kamieth stellen in Hamburg ein Substrat aus Kompost und Pflanzenkohle vor, das sowohl Kleingärtner*innen als auch dem Klima hilft.

Den Anstieg des CO2-Anteils in der Atmosphäre abzubremsen, ist eines der wichtigsten Ziele im Kampf gegen den Klimawandel. Ökosystemleistungen können dabei wertvolle Beiträge erbringen. In der traditionsreichen Hamburger Patriotischen Gesellschaft stellte Jürgen Pietsch, emeritierter Professor der TU Hamburg und Begründer des Ecosystems Cultivation Office, konkrete Wege zur Umsetzung vor. Unterstützung leistet dabei Dr.-Ing. Heino Kamieth, ehemals Bereichsleiter Forsten, Landschaftsräume und Naturschutz der Stadt Hannover.

Beide beschäftigten sich seit mehreren Jahrzehnten mit stadtökologischen Themen – Pietsch im universitären Kontext, Kamieth auf Basis städtischer Grünentwicklung. Sie treibt die Frage um, wie man CO2 insbesondere in städtischen Böden dauerhaft speichern kann.
Im Fokus ihrer Forschung stehen Ökosystemleistungen, die zu den Schlüsselkonzepten bei der Bekämpfung der globalen Klimaerwärmung zählen. Das Speichern von Kohlenstoff im Boden (Soil Carbon Sequestration) kann der Erdatmosphäre Kohlendioxid und andere klimaschädliche Kohlenstoffverbindungen entziehen – ein bedeutender Beitrag zum Klimaschutz.

Dauerhafte Kohlendioxid-Einlagerung im Boden

Bekanntlich speichern Böden global betrachtet rund viermal so viel Kohlenstoff wie die Vegetation und mehr als doppelt so viel wie die Atmosphäre. Bisherige Konzepte bezogen sich dabei auf die Renaturierung und erneute Vernässung von Mooren oder die Landwirtschaft. Wettbewerber-Projekte gibt es für viele Ökosystemelemente mit Ausnahme der CO2-Bindung in Gartenböden.

Jürgen Pietsch nimmt mit seinem Konzept erstmals Potentiale des städtischen Raumes in den Blick. Denn Gartenböden, auf denen Obst und Gemüse angebaut sind, speichern aufgrund ihres Humusgehalts rund fünfmal mehr CO2 als landwirtschaftliche Flächen.

Pietsch belässt es jedoch nicht bei Zahlenspielen, sondern konzipiert ein Bündel an vernetzen Mechanismen, wie Ökosystemleistungen im städtischen Raum durch Verbesserung der Böden wirksam sein können: Ein durchdachtes, nachhaltiges Kreislaufmanagement.

Ein für lange Zeit vernachlässigtes Element im städtischen Mix urbaner Grünräume erhält dabei neues Gewicht – die Kleingärten. Allein in Hamburger Kleingärten lassen sich jährlich bis zu 50 000 Tonnen CO2 dauerhaft speichern, errechnete Pietsch. Als Vergleichsgröße nennt er die im Nachhaltigkeitsbericht der Hamburger Sparkasse Haspa ausgewiesenen 6 322 Tonnen, die das Institut jährlich an CO2-Äquivalenten zu kompensieren hat.

Matthias Albrecht, Jürgen Pietsch und Heiko Kamieth
(v.l.n.r.) Matthias Albrecht, Geschäftsführer von Bahn-Landwirtschaft, Jürgen Pietsch, emeritierter Professor der TU Hamburg, und Heiko Kamieth, ehemals Bereichsleiter Forsten, Landschaftsräume und Naturschutz der Stadt Hannover. Foto: Thomas Edelmann

Kleingärten profitieren von der Einlagerung von Klimagasen

Gartenböden allein Humus zuzuführen, reicht nicht aus. Dadurch wäre CO2 nur kurzzeitig gebunden. Erst durch die Beimischung von Pflanzenkohle und eines weiteren verfügbaren Zusatzstoffs ist eine dauerhafte Speicherung möglich. „ECO-Klimasschutzsubstrat S“ nennt Pietsch diese abgestimmte Mischung. Entwickelt wurde sie in Zusammenarbeit mit Hamburger F+E-Einrichtungen unter Nutzung des Projektmanagement-Tools Cultivation Thinking.

Neben der Bindung von Kohlendioxid entfaltet das Substrat weitere erwünschte Wirkungen: Böden werden fruchtbarer und ertragreicher, die biologische Vielfalt nimmt zu, der Nährstoffhaushalt und die Fähigkeit, Wasser zu speichern, verbessern sich.

Das klimafreundliche Substrat ist vielseitig einsetzbar – für Gartenböden ist es ebenso geeignet wie für Hochbeete oder die nachhaltige Dachbegrünung. Dies ergaben erste Test in Zusammenarbeit mit der TU Hamburg. Doch wie lassen sich Herstellung und Vertrieb des Klimaschutzsubstrats organisieren und finanzieren? Und weshalb profitiert auch die lokale Wirtschaft von der CO2-Einlagerung in Kleingarten-Böden?

Lückenschluss in der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft

Zur Herstellung des ECO Klimaschutzsubstrats S könnte der Grünschnitt städtischer Grünflächen und Siedlungsflächen verwendet werden, wie er bereits heute in Recyclinghöfen anfällt und zu Kompost verarbeitet oder verbrannt wird. In Hamburg findet die Vermarktung von Kompost bereits über ein Tochterunternehmen der Stadtreinigung statt. Künftig ließe sich aus den Holzanteilen des Grünschnitts kommunal Pflanzenkohle erzeugen, die entstehende Abwärme könnte man ins städtische Fernwärmesystem einspeisen.

Jürgen Pietsch schlägt vor, gemeinnützige Firmen zu gründen, als nachhaltiges Glied in der Wertschöpfungskette bestehender kommunaler Entsorgungsunternehmen. Auch die tatsächliche Ökosystemleistung der Böden durch Monitoring zu überprüfen, wäre eine Aufgabe, die von einer eigens gegründeten gemeinnützigen GmbH übernommen werden sollte. Die Zertifizierung könnte somit kontrolliert und vor Ort erfolgen. Aufs Beispiel Hamburg bezogen, könnten Banken und Versicherungen, die in der Hansestadt ihren Standort haben, die Zertifikate erwerben und so ihre Treibhausgasemissionen kompensieren.

Neben der Erfüllung von ESG-Anforderungen wäre damit auch ein Imagegewinn verbunden, denn die Wirkungen würden sich vor Ort entfalten.

Warum sich für das Projekt Kleingärten eignen?

Warum stehen für Jürgen Pietsch die Kleingärten im Fokus seiner Aktivitäten? Ein Grund dafür ist, dass diese dank ihrer Vereinsstruktur über einen hohen Organisationsgrad verfügen, die etwa regelmäßig Fachberater konsultieren, die über die Vorteile der Nutzung des Klimaschutzsubstrats informieren können. Außerdem sind sie gesetzlich verpflichtet, einen Teil ihrer Gartenflächen „zur Gewinnung von Gartenbauerzeugnissen für den Eigenbedarf“ zu nutzen.

 

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Pietsch
Jürgen Pietsch stellt in Hamburg ein Substrat aus Kompost und Pflanzenkohle vor, das langfristig CO2 speichern könnte. Foto: Thomas Edelmann

Zertifikate tragen die Kosten

Diese günstige Methode der natürlichen CO2-Speicherung ist auch ökonomisch reizvoll. Die Kosten werden durch die Bezahlung von den Zertifikatsnehmern abgedeckt. Etwa ein Drittel des Erlöses würde für die Deckung der Managementkosten benötigt, zwei Drittel könnten in die Kassen der Kleingärtner fließen.

Im Rahmen des Projekts könnten Kleingärten weiter an Bedeutung innerhalb der Stadt gewinnen. Ihr verstaubtes Image löste sich bereits durch einen Boom zu Beginn der Corona-Pandemie auf. Durch ihre Klimaschutzförderung erhielten sie neue Relevanz.

Eine Vereinbarung der Kleingärtenvereine mit der Stadt Hamburg besagt bereits heute, dass die Zahl der Parzellen nicht unter 40 000 sinken darf. Kleingärtenflächen können das Wohlbefinden der gesamten Metropolen-Bevölkerung steigern, erst recht, wenn sie kontinuierlich zur CO2-Bindung in den Böden beitragen. Als Pilotprojekt schlägt Pietsch die Kleingartenanlage Horner Marsch vor. Sie besteht aus vielen zu großen Parzellen und soll daher in den nächsten Jahren neu strukturiert werden.

Da auf Hamburger Stadtgebiet kaum Platz für Windräder vorhanden ist, wäre die Methode Böden als natürliche Speicher zu nutzen, besonders geeignet, um die vorgeschriebenen Klimaziele der Stadt zu erreichen.

Am Projekt hat sich die Bahn-Landwirtschaft, Karlsruhe beteiligt, die bundesweit über Kleingartenflächen verfügt. Geschäftsführer Matthias Albrecht vom Hamburger Bezirk des Verbandes unterstrich in der Patriotischen Gesellschaft seine Unterstützung des Projektes. Als nächsten Schritt erstellt Jürgen Pietsch derzeit einen Handlungsleitfaden mit der Bahn-Landwirtschaft. Grundsätzlich geht es ihm darum, „Akteure für die Idee zusammenzubringen.“

Sollte dies gelingen, dürfte von der nachhaltigen Verbesserung städtischer Böden mit dem Klimaschutzsubstrat künftig noch öfter die Rede sein.

Auch interessant: Architects for Future und die Deutsche Umwelthilfe verfassten anlässlich der Bauministerkonferenz einen offenen Brief zur Bauwende.

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