07.02.2023

Wettbewerb

Kohlrabizirkus Leipzig: Wettbewerb „Alte Messe West“ entschieden

Alte Messe West © de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten © de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten
© de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten

Das alte Messegelände „Alte Messe West“ in Leipzig soll zum modernen Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort werden. Hierzu wurde im Sommer 2022 ein nichtoffener städtebaulicher Realisierungswettbewerb ausgelobt. Nun stehen die Sieger*innen fest: unter den elf eingereichten Entwürfen machten die Berliner Büros de+ architekten GmbH und Bacher Landschaftsarchitekten das Rennen.


Von Restfläche zu Highlight

Das Planungsgebiet „Alte Messe West“ befindet sich südlich der Semmelweisstraße und westlich des Areals der Tierklinik. Es ist dabei durch den S-Bahn-Haltepunkt „MDR“ und die Verkehrsanbindung an der Zwickauer Straße optimal an die Innenstadt angebunden. Das Messegelände entstand somit 1913 anlässlich der Internationalen Baufach-Ausstellung (IBA). Durch die Errichtung eines neuen Messestandortes am Stadtrand fiel das Areal 1996 brach. Zwei der noch bestehenden Gebäude sind denkmalgeschützt und für das Stadtbild prägend: zum einen hat aus dem ursprünglichen Bau-Ensemble ein Lokschuppen die Zeiten überdauert. Das andere Solitär ist der sogenannte Kohlrabizirkus, die ehemalige Großmarkthalle Leipzigs. Durch dessen außergewöhnliche Architektur hat sich dieser Bau zu einem geschätzten Veranstaltungsort mit vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten gemausert. Somit wartet in Zentrumsnähe ein besonderes Stück Stadt darauf, aus seinem Dornröschenschlaf aufgeweckt zu werden.

Alte Messe West © de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten
© de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten

Offener Dialog im Planungsprozess

Leipzig beabsichtigt, das Gelände in den kommenden Jahren als Quartier auch mit unterschiedlichen Nutzungen — im Schwerpunkt Gewerbe — zu etablieren. Die Stadt stellt sich dafür Büros, Labore, Hotels, Parkhäuser und Freizeitangebote vor. Das Gebietszentrum soll dabei belebt und von urbanem Charakter sein. Die Fußgänger*innen- und Fahrradroute „Aktivachse-Süd“ soll weiterhin durch das Planungsgebiet führen. Eine geplante Brückenverbindung über die S-Bahn-Gleise ermöglicht es außerdem, die Achse potenziell noch weiter nach Süden zu entwickeln.
Im Verfahren wurde auch großer Wert auf die Einbeziehung der Eigentümergesellschaften gelegt. Diese wurden dann aktiv in die Entwurfsfindung miteinbezogen und waren Teil der Preisgerichtssitzung. Die Idee dahinter war, die individuellen Entwicklungsvorstellungen zu einem kohärenten Gesamtkonzept zu vereinen. Dies soll eine gemeinsam gesteuerte und hochwertige Entwicklung des Areals ermöglichen.
Neben einem schlüssigen architektonisch-räumlichen und freiraumplanerischen Konzept, spielten die aktuell hochrelevanten energetischen und klimatischen Themen eine große Rolle. Wichtig war auch, die sich derzeit im Kohlrabizirkus befindenden Kultur-, Sport- und Freizeiteinrichtungen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Des Weiteren war die verkehrliche Erschließung des Areals mit Ver- und Entsorgung zu klären.

Alte Messe West © de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten
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Zum Glück keine Tabula Rasa

Die Fachjury unter Vorsitz des Kölner Architekten und Stadtplaners Professor Markus Neppl schreibt dem Siegerentwurf einen „überraschend klaren Vorschlag zur Integration des Bestandes“ zu. Dem Planer*innenteam ist somit ein sensibler Umgang zwischen Alt und Neu gelungen. Den Bestandsstrukturen und -materialien wird Wert beigemessen: als historische Schichten sind sie Teil des Gesamtkonzeptes. Durch ihre Integration entsteht das Potential für einen spannungsvollen Dialog und identitätsreichen Ort.

Der mit 40 000 Euro Preisgeld dotierte Entwurf entwickelt ein nachverdichtetes Quartier mit zusammenhängendem Erscheinungsbild und robustem baulichem Gefüge. Der Kohlrabizirkus bleibt wegen seiner überörtlichen Bedeutung freigestellt und bildet den Auftakt des neuen Quartiers. Die umliegenden Neubauten nehmen mit ihrer Höhenplanung und Kubatur Bezug auf den Bau und verleihen ihm somit einen Rahmen. Um die ehemalige Großmarkthalle entsteht ein belebter urbaner Platz für kulturelle Veranstaltungen und individuelle Freizeitgestaltung. Auf der Südseite wird hierfür das Untergeschoss des Kohlrabizirkus durch eine Freitreppe mit Sitzstufen für neue Nutzungen öffnen. Das Ensemble aus Kohlrabizirkus und Lokschuppen wird durch einen runden Solitärbau ergänzt. Hier soll der kulturelle Schwerpunkt des Quartiers entstehen.

Alte Messe West © de+ architekten GmbH & Bacher Landschaftsarchitekten
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Der Freiraum als Rückgrat

Ein Freiflächen-Band bildet die Verlängerung der „Aktivachse Süd“. Beginnend am Kohlrabizirkus führt es zum Messegrund und ist somit die wesentliche Erschließung für den Fußgänger*innen- und Fahrradverkehr. An prädestinierten Stellen weitet sich zudem die Achse zu Aufenthaltsbereichen mit abwechslungsreichem Charakter. Die Randbereiche sind als naturnahe Ruderal- und Sukzessionsflächen gestaltet, während intensive Pflanzflächen den urbanen Bereich definieren. Ein angerförmiger Park bildet währenddessen das grüne Quartierszentrum. Bei den Neubauten sind auch Retentionsdächer und Fassadenbegrünungen geplant.
Ein Teil des anfallenden Niederschlags wird über die Dach- und Fassadenbegrünung aufgefangen. Am Boden soll dabei der Großteil der Entwässerung über Mulden-Rigolen-Systeme in den Pflanzflächen erfolgen. Im Süden ist zudem ein Mischwasserrückhaltebecken vorgesehen.
Das Erschließungskonzept sieht zwei Quartiersgaragen an den Rändern des Gebiets vor. Schade ist, dass circa ein Drittel der erforderlichen Stellplätze noch traditionell in Tiefgaragen untergebracht wird. Der Bereich um den Kohlrabizirkus ist ausschließlich dem Fußgänger*innen- und Fahrradverkehr vorbehalten, während der Rest des Areals für den MIV zugänglich ist.


Schritte zur Realisierung

Die siegreichen Büros de+ architekten GmbH und Bacher Landschaftsarchitekten sollen nun den Wettbewerbsentwurf anpassen und diesen in einen Masterplan umsetzen. Auch die Masterplanung sowie eine frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung sind noch für dieses Jahr vorgesehen. Der Entwurf soll als städtebauliches Grundgerüst für den Bebauungsplan dienen. Dieser ist für 2025/26 angesetzt. Laut Baubürgermeister Thomas Dienberg werden sich die Grundstückseigentümer*innen weiterhin aktiv an der Planung beteiligen. Das Bauvorhaben „Alte Messe West“ kann als ein Beispiel für die großen Chancen und Potentiale gelten, die Entwicklungsspielräume in zentraler Lage in sich tragen. Auch ist es spannend zu beobachten, wie historische Strukturen in die Zukunft getragen werden.

Apropos Wettbewerb: Auch der Wettbewerb zum ThyssenKrupp-Areal am Diebsteich in Hamburg wurde vor kurzem entschieden.

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