08.06.2023

Gesellschaft

„Lärmblitzer“ lauschen in Berlin

Das Bild zeigt einen Auto Auspuff aus dem Dampf steigt.
Lärmblitzer reagieren auf exzessiven Autolärm. credits: Matt Boitor via unsplash

In Frankreich, Großbritannien oder der Schweiz werden Lärmblitzer bereits eingesetzt um Lärmbelästigung im Straßenverkehr zu mindern. Nun startet auch Deutschland ein Pilotprojekt. In der Bundeshauptstadt Berlin am Kurfürstendamm steht der erste Lärmblitzer der Bundesrepublik. Die Einzelheiten zum Projekt lesen Sie hier.


Lärmblitzer sammelt Daten in Berlin

Der Paragraf 1 der Straßenverkehrsordnung gibt eine der wichtigsten Grundregeln im Straßenverkehr vor. Darin heißt es, dass eine Belästigung anderer Verkehrsteilnehmer*innen in jeglicher Form durch das eigene Verhalten vermieden werden müssten. Sogenanntes Auto-Posing – also lautstarkes Beschleunigen, Aufheulen des Motors oder quietschende Reifen – fällt genau unter diesen Tatbestand der Belästigung anderer. Trotzdem ist eine Ahndung oft schwer. Um gegen die Praxis vorzugehen, wagt nun Berlin einen neuen Schritt. In der Hauptstadt wurde Ende Mai ein Lärmblitzer aufgestellt. Direkt in prominenter Lage am Kurfürstendamm ist er das erste Gerät dieser Art in Deutschland. Für insgesamt acht Wochen wird es auf Höhe der Gedächtniskirche dem Verkehr „zuhören“ und Daten sammeln. In Zusammenarbeit mit der Technischen Universität Berlin gilt es diese anschließend auszuwerten. Die Verantwortlichen erhoffen sich Erkenntnisse darüber, inwiefern der Prototyp geeignet ist, laute Verkehrsteilnemer*innen zu erfassen.


Unauffällig im Straßenraum

Um seiner Aufgabe nachzukommen, ist der Lärmblitzer mit vier Mikrofonen und einer 180-Grad-Weitwinkel-Kamera ausgestattet. Allerdings nimmt das Gerät im derzeitigen Stadium nur auditive Eindrücke auf. Die Daten geben damit nur Aufschluss über die Schallquelle. Persönliche Informationen zu Fahrzeughalter*in werden nicht gesammelt. Demnach ist auch eine Strafverfolgung durch das Pilot-Projekt noch nicht angedacht. Die Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) spricht von einer rein wissenschaftlichen Auswertung. Durch das Projekt wolle man sicherstellen, dass die Daten im Ernstfall beweissicher seien. Dann könnte in der Zukunft auch eine Ahndung mithilfe des Lärmblitzers erfolgen. Dabei bleibt das Gerät im Stadtraum möglichst unauffällig. Im Gegensatz zu einer gängigen Radarfalle gibt der Lärmblitzer kein Lichtsignal, sobald er ein Lärmdelikt verzeichnet. Für Verkehrssenatorin Schreiner eine bewusste Entscheidung: „Das wollten wir auch gerne vermeiden. Wir wollen nicht auch noch Wasser auf die Mühlen geben und eine Egobestätigung erzeugen“.


Kritik am Lärmblitzer

Die Reaktionen zum Pilotprojekt sind gegensätzlich. Der ADAC Berlin-Brandenburg zu Beispiel steht den Lärmblitzern kritisch gegenüber. Da sich Standorte der Geräte schnell herumsprächen, würden sie das Problem innerhalb der Stadt zwar verlagern, aber nicht verhindern. Der Verkehrsvorstand Martin Koller sieht die Lösung um dem Auto-Posing in Berlin beizukommen, in anderen Maßnahmen: „Um vorsätzliche Verstöße wie diese zu ahnden, braucht es unserer Ansicht nach mehr Kontrollen und Polizeipräsenz, insbesondere an Hot-Spots wie dem Kurfürstendamm.“


Strategien im Ausland

In anderen Ländern des europäischen Auslandes hingegen, kommen Lärmblitzer bereits vermehrt zum Einsatz. So stammt die Technologie, die nun am Kurfürstendamm installiert wurde, dann auch aus Frankreich. In Paris dokumentieren die sogenannten „Hydras“ bereits seit 2022 das Lärmverhalten im städtischen Verkehr. Und auch in Großbritannien gibt es Pilotprojekte. Dort beobachten seit Herbst des vergangenen Jahres an vier Standorten geräuschsensible Kameras das Verkehrsverhalten. Verkehrsministerin Anne-Marie Trevelyan erhofft sich einen positiven Effekt auf die Verkehrs- und Lärmsituation im Königreich: „I hope this technology paves the way for quieter, peaceful streets across the country.“ Die britische Regierung investierte 300 000 Pfund in das Projekt. Demgegenüber stünden jährlich etwa 10 Milliarden Pfund an sozialen Kosten, die durch städtischen Straßenlärm verursacht würden. Beispielsweise durch Produktivitätseinbußen aufgrund von Schlafstörungen und in der Gesundheitsversorgung.


Gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Lärm

Auch die Europäischen Umweltagentur (EUA) belegt negative Auswirkungen von Straßenlärm, welche weit über Gehörschäden hinausgehen. „Those serious effects include ischemic heart disease, high blood pressure, obesity and diabetes“, sagt Eulalia Peris, Expertin für Umgebungslärm bei der EUA. In Europa sei dabei jede*r fünfte Bewohner*in von übermäßigem Lärm betroffen.

Um der Beeinträchtigung beizukommen, hat die Europäische Kommission im Rahmen des europäischen Green Deals einen Aktionsplan „Null Umweltverschmutzung“ herausgegeben. Dieser verfolgt unter anderem das Ziel, den Anteil der Menschen, die „chronisch durch Verkehrslärm gestört werden“, bis zum Ende des Jahrzehnts um 30 Prozent gegenüber dem Stand von 2017 zu senken.

Aus der Dringlichkeit der Thematik erwuchs das Projekt in Paris. Denn Frankreichs Hauptstadt gilt als eine der geräuschintensivsten Metropolen Europas. Eine Studie aus dem Jahr 2021 ergab, dass mehr als 5,5 Millionen Menschen Straßenverkehrslärm mit einem Schallpegel von 55 Dezibel oder mehr ausgesetzt sind. Nach einer anfänglichen Pilotphase sollen die Hydras ab diesem Jahr nun auch Fahrzeughalter*innen identifizieren können. Bei Verstößen könnten zukünftig Strafen von bis zu 135 Euro fällig werden.


Lärmblitzer als Maßnahme ausreichend?

Auch in Deutschland ist eine Verschärfung des Bußgeldkataloges geplant. Das Pilotprojekt in Berlin soll dazu wesentliche Erkenntnisse liefern. Die derzeitige Testphase wurde für acht Wochen angesetzt. Mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse ist jedoch erst im Juli 2024 zu rechnen. Denn dann sollen die gesammelten Daten in den neuen Lärmaktionsplan für Berlin einfließen. Inwiefern die Lärmblitzer ausreichen um dem Problem beizukommen, ist noch offen. Eulalia Peris von der EUA zweifelt jedoch daran, dass bisher ergriffene Maßnahmen ausreichen um EU-weit den Lärmpegel auf ein gesundheitsverträgliches Maß zu senken: „Even with a high level of implementation of certain measures, it could still be difficult to achieve these targets set up by the Commission. More things need to be done.“

 

Nicht nur Lärm ist ein Problem in der Stadt. Auch die Luftverschmutzung gilt als ernste Bedrohung.

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