12.10.2021

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Landschaft – so viel in einem Begriff

Claude Monet
Claude Monet

Landschaft: Der Begriff im Wandel der Zeit

Wir alle meinen zu wissen, was Landschaft ist. Bei genauem Eintauchen verschwimmt jedoch die Klarheit. Je nach Kontext und Thema, nach Disziplin und Perspektive unterscheidet sich unser Verständnis von Landschaft. Der Begriff ist fast wie eine große Kiste. Und wir packen immer mal etwas anderes hinein.

Selten kommt der Begriff Landschaft derzeit alleine daher. Vielmehr mehren sich Wortschöpfungen, in denen die Landschaft um einen Begriff ergänzt ist. Sie reichen von Kulturlandschaft und Ackerlandschaft, über den Landschaftspark bis zur Stadtlandschaft. Aber auch blühende Landschaften und Haldenlandschaften tauchen auf. Vor lauter urbaner Note scheint sich neuerdings auch die Natur wieder einzuschleichen; auch der Begriff der Naturlandschaft kommt häufiger vor. In Diskussionen um Stadt und Landschaft ist eines konstant: der Wandel.

Das Wort Landschaft kam bereits im Mittel- und Althochdeutschen ab dem 8. Jahrhundert vor. Schon damals setzte sich lantschaft aus dem Substantiv Land und dem Suffix -schaft zusammen. Während der erste Wortteil für freies oder braches Land stand, verwies der zweite Teil auf eine menschliche Tätigkeit oder Überformung. Demnach würde der Begriff Landschaft einfach für überformtes Land stehen. Schön, wenn es so einfach wäre. In Wahrheit durchliefen das Wort und seine Bedeutung im Laufe der Epochen viele Wandlungen.

Claude Monet
Einer der bedeutendsten französischen Maler, Claude Monet, hat gerne Landschaftsmotive abgebildet. Bild: Claude Monet, Public domain, via Wikimedia Commons

Landschaft in Geographie und Ökologie

Auch in Literatur und Malerei veränderte sich die Vorstellung und Darstellung von Landschaft kontinuierlich. Von der Antike bis in das 18. Jahrhundert erscheinen Natur und Landschaft mal lieblich und schön und dann als schrecklicher, lebensfeindlicher Ort. Im 18. Jahrhundert wandelte sich das. Die Natur wurde umgewertet in etwas Erhabenes. Allerdings hielt das nicht lange an. Bereits im 19. Jahrhundert wird die Auffassung wieder pessimistischer. Diesen wechselnden Blick greift die Klassik Stiftung in Weimar derzeit auf. Sie betitelt ihre aktuelle Ausstellung mit: „Ich hasse die Natur“. Dieser Satz geht auf einen österreichischen Schriftsteller zurück. Dahinter steckt aber nicht nur Ablehnung. Der Titel verweist vielmehr auf die wechselnde und nicht immer einfache Beziehung des Menschen zu Natur und Landschaft.

Aber es sind nicht nur Zeitströmungen, die die Perspektive auf Landschaft prägen. Es ist immer auch der Blickwinkel der Betrachtenden, der eine große Rolle spielt. Das schrieb schon der amerikanische Philosoph Ralph W. Emerson im frühen 19. Jahrhundert: „Der Unterschied zwischen Landschaft und Landschaft ist klein; doch groß ist der Unterschied zwischen den Betrachtern“.

In der Geographie sowie Ökologie ist der Begriff Landschaft umstritten und nicht fest definiert. Foto: CSIRO, CC BY 3.0

Landschaft in raumplanenden Disziplinen

Verschiedene Blickwinkel auf Landschaft nehmen auch die Disziplinen wie Geografie und Ökologie ein. Aber sogar in diesen Wissenschaften ist der Begriff nicht genau definiert, obwohl schon Alexander von Humboldt vom „Totalcharakter einer Erdgegend“ gesprochen haben soll. Dessen ungeachtet ist der Begriff Landschaft bis heute in der Geografie umstritten. Für die einen ist Landschaft ein Forschungsobjekt. Andere hingen lehnen die umfassenden, holistische Sichtweise als unwissenschaftlich ab. Im Bereich der Ökologie ist es nicht einfacher; ganz im Gegenteil. Hier kommen noch Wortschöpfungen wie Ökosystemtypen und Ökosystemdienstleistungen hinzu. Die vereinfachen die Verständigung sicher nicht.

In der Welt derjenigen Disziplinen, die tagtäglich Lebensräume planen und gestalten, kommt Landschaft eine zunehmend größere Bedeutung zu. Wurden Stadt und Land lange als Gegenpole gesehen, tauchen sie seit Jahrzehnten vermehrt als unzertrennliches Paar auf. Demnach sind die meisten unserer Lebensräume nicht dem einen oder anderen zuzurechnen. Vielmehr dominiert vielerorts das Nebeneinander von urbanen und landschaftsräumlichen Strukturen. Den Blick darauf hat Thomas Sieverts in seinem Buch „Zwischenstadt“ geschärft.

Seit dessen Veröffentlichung richtet sich die Wahrnehmung weniger auf das eine oder das andere. Die tradierte Vorstellung von Urbanität durch Dichte, von städtischen Leben auf dichtem Raum ist selten geworden. Vielmehr gleichen städtisch geprägte Räume patchworkartigen Strukturen. Anders gesagt liegen zwischen mehreren urbanen Kernen Autobahnen und Schnellstraßen, aufgelockerte Wohnbereiche und Gewerbeareale sowie Freiräume. Hier existiert ein besonderes Stadtklima, ein charakteristischer Wasserhaushalt und eigene Flora und Fauna. Da wundert es kaum, dass sich ein neuer Begriff in der Diskussion um Stadt und Landschaft etabliert hat: die Stadtlandschaft.

Von der Stadtlandschaft zu Stadtgrün und Stadtnatur

Die Stadtlandschaft beschreibt die von Menschen überformten Lebensräume eigentlich aus einer urbanen Perspektive. Der Begriff erkennt an, dass urbane Strukturen eng mit landschaftsräumlichen vermischt, verwoben und verzahnt sind. Aber bleibt dabei die Aufmerksamkeit für die Landschaft, für Landschafts- und Freiraumstrukturen auf der Strecke? Dieser Eindruck könnte entstehen. Dementsprechend schleichen sich wieder neue Begriffe in die Diskussion.

Zum Beispiel veröffentlichte das Bundesumweltministerium 2017 zunächst das Weißbuch Stadtgrün. Wenig später folgt der Masterplan Stadtnatur. Grün, Natur und Elemente von Landschaft bekommen neue Aufmerksamkeit. Laut dem Weißbuch des Bundes wird Grün in der Stadt zur Basis für eine lebenswerte Zukunft gesehen. Besser gesagt: „Urbanes Grün und Freiflächengestaltung leisten einen wichtigen Beitrag zum Erscheinungsbild unserer Städte und zur Erhöhung der Lebensqualität im urbanen Raum“.

Der postindustrielle Landschaftspark

Im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park entstand auf einer Industriebrache der Nordsternpark. Dieser präsentiert auf dem stillgelegtem Zechengelände moderne Gartenkunst. Foto: Spyrosdrakopoulos, CC BY-SA 4.0

Grüne Infrastruktur

Bei der Prägung von neuen Begriffen rund um Landschaft hat das Ruhrgebiet eine führende Rolle. Bereits in den späten 1980er-Jahren brachte die IBA Emscher Park bis dato ungewohnte Begriffe zusammen. Nicht nur, dass eine Internationale Bauausstellung eine gesamten Region umfasste. Die Verbindung einer offenen Kloake mit Landschaft und Park war gleichermaßen ungewöhnlich. Schon im Titel der IBA kamen Begriffe zusammen, die bis dato nicht zusammen gehörten. Darüber hinaus wurde das Konzept des Landschaftsparks auf eine Region übertragen, die von Schwerindustrie und Kohleförderung gebeutelt war.

Dessen ungeachtet avancierte der Emscher Landschaftspark zum kommunale Grenzen überschreitenden Jahrhundertprojekt. Er ist aber auch zum Inbegriff einer Transformation geworden, die bis dato unbekannt war. Zwanzig Jahre nach dem Ende der IBA und nach Ausarbeitung des Masterplans Emscher Landschaftspark war es wieder still geworden. Aber nicht lange. Plötzlich kam Grüne Infrastruktur an die Emscher.

Von der Europäischen Union, über den Bund, die Länder und regionale Planungsinstanzen kommt neue Aufmerksamkeit für Landschaft, Natur und Grün an die Emscher. Diesmal unter dem Begriff Grüne Infrastruktur. Spontan irritiert die Kombination des Adjektivs „grün“ mit dem technisch anmutenden Substantiv „Infrastruktur“. Wird Infrastruktur aber als Voraussetzung für die Versorgung eines Lebensraums verstanden,  verliert der Begriff etwas an Sperrigkeit. Dann macht er deutlich, dass Grün ein wesentlicher und systemrelevanter Bestandteil jedes urbanen Gefüges ist.

Dass Natur und Landschaft als Naturkapital genauso zum volkswirtschaftlichen Grundstock gehören, wie klassische Infrastruktursysteme. Dementsprechend bedürfen sie derselben Instandhaltung und Aufwertung. Das klingt plausibel. Doch noch ist Grüne Infrastruktur nicht im allgemeinen Sprachgebrauch angekommen. Darum bemühen sich derzeit zahlreiche Akteur*innen. Das Land, aber auch der Regionalverband Ruhr, werden Projekte der Grünen Infrastruktur lancieren und fördern. Sie wollen aber auch das Bewusstsein der Menschen in der Region für Landschaft und Grün stärken. Letztlich geht hier wieder einmal darum, einen neuen Begriff mit Leben zu füllen.

Persönlichkeiten und Medien

Das prominente Architekten-Duo, Jacques Herzog und Pierre de Meuron, plädieren für mehr Landschaft in der Stadt. Foto: Columbia GSAPP, CC BY 2.0

Landschaft im Wandel oder was stecken wir in die Kiste „Landschaft“?

Es sind nicht nur die Landschaft planenden und gestaltenden Disziplinen und deren Projekte, die einen Begriff mit Leben füllen. Natürlich spielen auch bedeutende Persönlichkeiten eine Rolle. Sicherlich erinnern sich noch viele an Helmut Kohls Ansprache 1990, in der er blühende Landschaften versprach. Aber auch Vertreter*innen der Architekturszene prägen den Diskurs. Zum Beispiel plädierten 2020 zwei der prominentesten Architekten unserer Zeit, Jacques Herzog und Pierre de Meuron dafür, die Landschaft in die Stadt zu bringen.

Neben Äußerungen von Persönlichkeiten, Publikationen und Kampagnen, Ausstellungen und Kunstprojekten, spielen auch soziale Medien eine Rolle. Vor dem Hintergrund von fast vier Millionen Beiträgen unter dem Hashtag #Landschaft darf von großer Aufmerksamkeit für das Thema gesprochen werden. Wie auch immer die Darstellungen und Sichtweisen auf Landschaft dort sind, sie prägen in jedem Fall unsere Perspektive und Wahrnehmung. Und das auf bisher unbekannte, wenig erfasste Art und Weise.

Vor kurzem noch irritierte eine Diskussion. Die Beitragenden sollten sich zum Start kurz über das gemeinsame Verständnis von Landschaft einigen. Als kein gemeinsamer Nenner zu finden war, kam Irritation auf. Wie kann es sein, dass ein so gebräuchlicher und vermeintlich eindeutiger Begriff wie Landschaft so viele Facetten hat? Die Landschaft mutet beinahe an wie eine Kiste, die wir je nach Bedarf füllen. Das hat der kurze Ritt durch die Geschichte und die Disziplinen gezeigt. Vielleicht ist dieses Bild genau das, welches wir brauchen.

Wir sollten Landschaft als etwas dynamisches verstehen, beinahe als einen Prozess, der sich kontinuierlich verändert. Anfang der 2000er-Jahre nannte der bekannte Planungstheoretiker Klaus Selle ein Buch um. Was zunächst hieß: „Was ist los mit den öffentlichen Räumen“ bekam in der zweiten Auflage den Titel: „Plätze, Parks & Co. Stadträume im Wandel“. Hinter diesem veränderten Titel steckt die Erkenntnis, dass eine fast unüberschaubare Vielfalt von öffentlich zugänglichen Räumen in Städten gibt, die sich dazu noch kontinuierlich und dynamisch verändern. So müssen wir vielleicht auch Landschaft sehen. Wenn wir ein Buch über Landschaft schreiben würden, müsste es demnach heißen: „Stadtlandschaften, Naturlandschaften, blühende Landschaften & Co. Landschaft im kontinuierlichen Wandel“.

Erfahren Sie hier, warum die Naturlandschaft Great Barrier Reef sich zukünftig verändern wird und welche Lebewesen dadurch besonders gefährdet sind.

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