Muss es erst an den Geldbeutel gehen, bis wir handeln?
Seit etwa 150 Jahren sind wir in der industrialisierten Welt auf dem Weg, uns die Sterne in Form von künstlichem Licht auf die Erde zu holen. Die romantischen Bilder eines funkelnden Himmels, der die Menschen und Tiere seit Beginn ihrer Existenz fasziniert, geleitet und beeinflusst haben, sind kaum mehr zu sehen.
Bereits seit 2000 wurden im Kontext mit Lichtverschmutzung erste Untersuchungen zum Thema Insektensterblichkeit veröffentlicht. Seitdem beschäftigen sich immer mehr Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen mit dem Licht in der Nacht und dessen Folgen für Mensch, Tier und Pflanze.
Zu ihnen zählt auch Kneginja Richter, Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Nürnberg. In einem Gespräch erläutert sie, dass der Mensch für den Erhalt seiner Gesundheit etwa acht Stunden Schlaf in einer tatsächlich dunklen Umgebung benötige: „wie in einer Bärenhöhle zum Winterschlaf.“ Längst ist bekannt, dass wir mit nächtlicher Beleuchtung Gefahr laufen an Schlafstörungen, Übergewicht, Depressionen und Krebs zu erkranken.
Dennoch kaum zu glauben: Allein in Europa wird das Licht jährlich um fünf bis sechs Prozent heller. Jedes Jahr nimmt der bei Nacht beleuchtete Anteil der Erdoberfläche um zwei Prozent zu. Heute im Jahr 2022 ist man kaum weiter. Das ist trotz aller öffentlichen Empfehlungen und rechtlich verbindlicher Texte schwer zu verstehen. Muss es uns Menschen erst weh tun oder – wie jetzt durch die politische Situation forciert – an den Geldbeutel gehen, bis wir handeln?
Lichtverschmutzung: Beleuchtung ist eine Haftungsfrage
Um Lichtverschmutzung zu vermeiden und letztendlich die Gesundheit zu schützen, braucht es Engagement und Expertise auf kommunaler Ebene. Bei den meisten Gemeinden nehmen regionale, wirtschaftlich orientierte Energiedienstleister und ihre Tochterfirmen sowohl die fachliche Beratung als auch die Lichtversorgung vor.
Die Verantwortlichen der Kommunen selbst haben oft aufgrund der vielfältigen anderen Aufgaben zeitlich und personell kaum noch die Möglichkeit, umwelteffiziente Detaillösungen zu bearbeiten. Ein Beispiel dafür ist die verträgliche Umrüstung der besonders sensiblen Bereiche für Natur und Menschen. Hier gilt oft bei Dauerbeleuchtung von Hauptverkehrsstraßen: Wenn auch keine gesetzliche Verpflichtung zur Beleuchtung von Straßen, abgesehen von Gefahrenstellen und gefährlichen Übergängen, vorliegt, so ergibt es sich aus der Rechtsprechung und den Empfehlungen der Kommunalen Haftpflichtversicherung, dass eine vollumfängliche Beleuchtung für die Gemeinden weniger Risiko birgt.
Größere Städte haben in der Regel Lichtbeauftragte, die die Umrüstung im Sinne der Stadt betreuen. Nürnberg beispielsweise bemüht sich zumindest im Bereich der Altstadt ausschließlich warmweißes Licht und Amberlicht einzusetzen. Hier sind auch im Vornherein je nach Artenvorkommen die Untere und Höhere Naturschutzbehörde und entsprechend die Denkmalschutzbehörden eingeschaltet.
„Es geht nicht um Energieeffizienz, sondern um Umwelteffizienz!“
Ein Bundesweites Programm zur Verwendung von LED-Licht unterstützt die Umrüstung und Neuausstattung mit diesem. Dazu gibt es die „Richtlinie zur Förderung von Klimaschutzprojekten in sozialen, kulturellen und öffentlichen Einrichtungen“ (Kommunalrichtlinie) im Rahmen der „Nationalen Klimaschutzinitiative“. 2008 begann das Bundesumweltministerium damit, die Umrüstung von kommunalen Beleuchtungsanlagen auf energieeffiziente Beleuchtung zu fördern. Möglichst viele der rund 12 000 Kommunen in Deutschland sollten die Chance bekommen, in die LED-Technologie einzusteigen und ihre Einsparpotenziale zu realisieren. In Städten und Gemeinden machte allein die Außenbeleuchtung circa 40 Prozent des gesamten kommunalen Stromverbrauchs aus.
Im „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“ startete 2019 das Projekt zur Entwicklung eines neuen Straßenbeleuchtungsdesigns, das die Abstrahlung des Lichts minimieren soll. Das sechsjährige Verbundprojekt „Artenschutz durch umweltverträgliche Beleuchtung“ wird vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) koordiniert und mit rund 2,37 Millionen Euro durch das Bundesumweltministerium gefördert.
Außerdem setzen sich seit vielen Jahren verschiedene Initiativen für den Erhalt des Nachthimmels ein, zum Beispiel die Organisation International Dark-Sky Association. Sie ernannte Fulda 2019 zur ersten „Sternenstadt“ Deutschlands. Der örtliche Energieversorger von Fulda experimentierte mit unterschiedlichen Modellen, die das Licht sanft auf die Straße bringen. Nichts leuchtet mehr in Bäume und Schlafzimmer, Gewässer und andere sensible Bereiche.
Sabine Frank, Koordinatorin des Sternenparks Rhön erklärt, worauf es bei einer zeitgemäßen Beleuchtungspolitik auch im Sinne eines ganzheitlichen Naturschutzes ankommt: „Es geht nicht um Energieeffizienz, sondern um Umwelteffizienz!“
Weitere Sternenparks
Neben dem Sternenpark Rhön sind weitere sogenannte International Dark Sky Park entstanden. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Schönheit des nächtlichen Himmels wieder erlebbar zu machen:
- Sternenpark Rhön im UNESCO Biosphärenreservat Rhön (2014)
- Fulda erste „Sternenstadt“ (International Dark Sky Community) (2019)
- Naturpark Westhavelland (2011) mit dem Ort Gülpe, dem damals dunkelsten Ort Deutschlands
- Nationalpark Eifel (International Dark Sky Park) provisorisch seit 2014
- Winklmoos-Alm (International Dark Sky Park) (2018)
In Planung um die Anerkennung als Sternenpark sind die folgenden Regionen: Schwäbische Alb, Nationalpark Harz, Naturpark Nossentiner/Schwinzer Heide in Mecklenburg-Vorpommern.
Der erste österreichische Sternenpark ist der Naturpark Attersee-Traunsee (2021).
Schutz der Nacht als Aufgabe des Natur- und Landschaftsschutzes
Auch wenn auf kommunaler Seite oft ein Bewusstsein für Lichtverschmutzung vorhanden ist, ist für den privaten und gewerblichen Bereich noch sehr viel Aufklärung zu leisten. Hier sollten alle beratenden und planenden Stellen Anreize für eine für alle Lebewesen nachhaltige Verwendung von Licht schaffen.
Die Biologie von Insekten, Vögeln, Fischen, Säugetieren, Menschen und Pflanzen bis zu den Kleinstlebewesen orientieren sich am Licht. Ein Zuviel, zu hell und zu lange gefährden die Gesundheit von Mensch und Tier, wie Beate Jessel, Past Präsidentin des BfN, anmerkt: „Etwa 30 Prozent der Wirbeltiere und sogar über 60 Prozent der Wirbellosen sind nachtaktiv und können durch künstliches Licht in der Nacht beeinträchtigt werden. Der Schutz der Nacht muss daher stärker als bisher als eine grundlegende Aufgabe des Natur- und Landschaftsschutzes begriffen werden.“
Licht aus für unsere Böden!
Licht beeinflusst an Land und im Wasser den Hormonhaushalt, verändert das Jagdverhalten und wirkt als Barriere. Es zerschneidet, vergleichbar mit Straßen, die Lebensräume. Der nachtaktive Igel als eines der ältesten Säugetiere der Erde kommt durch Straßen- und Gartenbeleuchtung in erhebliche Bedrängnis, sein notwendigerweise großes Territorium ist im Siedlungsbereich meist mehrfach zerschnitten. Das gesamte Bodenleben, inklusive des Regenwurms ist nachtaktiv. Wir greifen somit auch massiv in die Bodenfruchtbarkeit und somit auch in die Speicher- und Pufferfähigkeit des Bodens ein.
Die zumeist tagaktiven Vögel sind in der Nacht durch Beleuchtung sowohl an ihrem Schlafplatz gestört und sie sind früher aktiv, balzen und brüten zu einer Zeit, in der es noch kaum Nahrung gibt und brüten auch länger in den Herbst hinein, sodass bei Zugvögeln auch der Abflug gefährlich spät ist. Auch der Tagesrhythmus verlängert sich in die eigentlichen Ruhezeiten: Früh morgens und spät abends, eine Erschöpfung der Tiere ist wissenschaftlich längst belegt. Einige Säugetiere, die ihre Aktivitäten normalerweise gleichmäßig auf Tag und Nacht verteilt hatten, haben aufgrund ihrer bedrängten Lebensumstände ihre Nachtaktivität auf 68 Prozent gesteigert. Sogar Tiere, die nicht nachtaktiv waren, sind jetzt bis zu 20 Prozent öfters nachts unterwegs.
Etliche Pflanzen werden in der Dämmerung/Nacht bestäubt und bieten somit diesen spezialisierten Tieren Nahrung. Eine gegenseitige Abhängigkeit zum Überleben. Pflanzen treiben früher aus, blühen und fruchten früher und schließen später ab. Das Angebot von Nahrung für alle abhängigen Tierarten verschiebt sich.