13.09.2023

Projekt

Lincoln-Siedlung: Klimafreundliche Mobilität in Darmstadt

Luftaufnahme einer Wohnsiedlung am Rande einer Stadt; Die Lincoln-Siedlung in Darmstadt, Foto: © Torsten Friedrich
Die Lincoln-Siedlung in Darmstadt, Foto: © Torsten Friedrich

Nach Abzug der US-Truppen wird die ehemals militärisch genutzte Lincoln-Siedlung in Darmstadt zu einem Wohnquartier transformiert. Ein vorrangiges Ziel bei der im Jahr 2014 initiierten und noch immer andauernden Quartiersentwicklung ist eine klimafreundliche Mobilität. Das neue Konzept soll die Unabhängigkeit vom eigenen Pkw ermöglichen und komfortable Alternativen bieten. Damit die alltäglichen Wege schnell zurückgelegt werden können, soll außerdem eine Stadt der kurzen Wege entstehen. Mit diesen Zielen vor Augen beauftragte das Stadtplanungsamt Darmstadt das Büro Stete Planung für die Konzeptentwicklung.


Vom Kasernengelände zur klimafreundlichen Wohnsiedlung

Aufgrund des dringend benötigten Wohnraums, entwickelte das Darmstädter Büro Stete Planung einen Rahmenplan für eine verkehrsberuhigte Wohnsiedlung, die 5 000 Menschen Raum bietet. Noch bis 2008 wurde die am südlichen Stadtrand gelegene Lincoln-Siedlung von der US-Army genutzt. Nachdem das Quartier vorübergehend verwaiste, begann 2014 die noch immer andauernde Konversion. Langsam entwickelt sich auf dem ehemaligen Kasernengelände im Süden Darmstadts ein Leuchtturmprojekt für klimafreundliche Mobilität.

Entwicklungskonzept für die Lincoln-Siedlung
Entwicklungskonzept für die Lincoln-Siedlung, Plan: © Wissenschaftsstadt Darmstadt

Klimafreundliche Alternativen zum eigenen Pkw

Um die klimafreundliche Mobilität zu stärken, besteht unter anderem ein Angebot an Car-Sharing-Stationen mit Elektroautos. Damit dieses auch tatsächlich genutzt wird, erhalten alle im Quartier Lebenden ein monatliches Freiguthaben von 64 Euro. Genauso wie positive Anreize für das Carsharing geschaffen wurden, sprechen einige Faktoren gegen den Besitz eines eigenen Pkws in der Lincoln-Siedlung. So ist zum Beispiel die Anzahl an Stellplätzen für individuelle Pkws gegenüber herkömmlichen Stellplatzschlüsseln reduziert. Außerdem befinden sich die Stellplätze für den motorisierten Individualverkehr an den Rändern der Siedlung – genauso weit entfernt wie die 2017 neu geschaffene Straßenbahnhaltestelle. Ein direktes Parken vor der eigenen Wohnungstür ist somit nicht für alle möglich. Folglich sind klimafreundlicheres Carsharing und die Nutzung des ÖPNVs oder Fahrrads für viele komfortabler als der Besitz eines eigenen Autos.

Elektrisch betriebenes Car-Sharing-Auto in der Lincoln-Siedlung
Elektrisch betriebenes Car-Sharing-Auto in der Lincoln-Siedlung, Foto: © Hanna Wagener

Mobilitätsberatung für neu Zugezogene

Die Reduktion der Pkw-Stellplätze dient nicht nur dem Klima, sondern auch ganz unmittelbar der Aufenthaltsqualität im Quartier. Schließlich bleibt durch die Einschränkung des ruhenden Individualverkehrs mehr Platz für Spielangebote, nachbarschaftliche Gemeinschaftsbereiche sowie den unmotorisierten Verkehr. Entsprechend beschreibt Sarah Knöll, eine Bewohnerin der Lincoln-Siedlung, in der ZDF-Reportage Drehscheibe ihr Lastenfahrrad als Hauptverkehrsmittel. Sie sei außerdem froh, dass sie sich aufgrund der verkehrsberuhigten Straßen keine Sorgen um die Sicherheit ihrer Kinder machen müsse. Die Nutzung von Fahrrädern wird in der Lincoln-Siedlung nicht nur durch die Reduktion der Pkw-Stellplätze gestärkt. Auch ein Angebot an Bikesharing-Stationen mit Elektro-Lastenrädern fördert die Fahrradnutzung. Überdies besteht eine Mobilitätsberatung für neu Zugezogene. Dieses Beratungsangebot hilft vor allem älteren Menschen, denen die Einrichtung von Car- und Bikesharing-Apps ansonsten sicherlich schwerfiele.


Feedback der Bewohnerschaft zu klimafreundlichen Mobilitätsangeboten

Im Sommer 2023 ist bereits mehr als die Hälfte der Lincoln-Siedlung fertiggestellt. Rund 3 000 Menschen leben nun in dem neu entstandenen Quartier, das sich aus Bestands- und Neubauten zusammensetzt. Entsprechend dem Ziel, alltägliche Wege möglichst kurz zu halten, wird im nächsten Schritt ein weiteres Baufeld mit integriertem Nahversorger umgesetzt. Da in der Siedlung nun bereits eine Vielzahl an Menschen lebt, geht, radelt und fährt, lohnt sich ein Blick auf das Feedback der Bewohnerschaft.

Aufgrund des Modellcharakters haben die Planenden einen analytischen Anspruch und bleiben über Beteiligungsverfahren und Befragungen im Kontakt mit den Nutzenden. Entsprechend wird das Projekt in Kooperation zwischen der Wissenschaftsstadt Darmstadt, der Goethe-Universität Frankfurt am Main und dem ILS – Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung gGmbH wissenschaftlich begleitet. Quantitative Befragungen unter der Bewohnerschaft ergaben hier zum Beispiel, dass der Anteil der Wohngemeinschaften, die zwei Autos besitzen, nach dem Umzug in die Lincoln-Siedlung von einem Viertel auf 17,5 Prozent sank. Dies bedeutet, dass die Nutzung von privaten Pkws statistisch signifikant zurückgeht. Die Analyse der Forschenden zeigt außerdem, dass dahingegen die Nutzung fast aller multimodaler Alternativen steigt.

Trotz all der positiven Entwicklungen und Bemühungen hinsichtlich der klimafreundlichen Mobilitätsangebote melden sich auch kritische Stimmen. So sind rund 45 % der Befragten der Meinung, dass die Anzahl der Parkplätze in der Lincoln-Siedlung nicht ausreiche. Sie halten es für möglich, dass das Angebot an Pkw-Stellplätzen zu Konflikten unter den Fahrzeughaltenden führen kann. Weiterhin klagt in der Dokumentation Drehscheibe ein Bewohner über die Schwierigkeit, mit schweren Einkäufen und Kindern vom entfernten Stellplatz zur Wohnungstür zu gelangen. Eine andere Bewohnerin freut sich zwar über den ökologischen Ansatz, bemängelt jedoch die Ausführung im Detail: Ein Fahrrad mitsamt Kind und Fahrradanhänger über den Aufzug in den Fahrradkeller zu bringen, sei kaum möglich.

Fahrradabstellanlagen in der Lincoln-Siedlung
Fahrradabstellanlagen in der Lincoln-Siedlung, Foto: © Hanna Wagener

Gemeinsam zur klimafreundlichen Stadt

Insgesamt wird mit der Lincoln-Siedlung in Darmstadt bereits einiges getan, um dem Bild einer klimafreundlichen Stadt näher zu kommen: Die Reduktion der Flächen für Pkws gibt dem unmotorisierten Verkehr mehr Raum und Sicherheit. Eine neue Straßenbahnhaltestelle, Mobilitätsstationen mit Elektrofahrzeugen sowie ein großzügiges Angebot an Fahrradabstellanlagen mit Lademöglichkeiten bieten vielfältige Alternativen zum eigenen Pkw. Die Lincoln-Siedlung geht neue Wege. Damit diese auch zum Vorbild für andere klimafreundliche Mobilitäts-Projekte werden können, gilt es, die Wege weiterhin gemeinsam zu gehen: Gemeinsam mit den Menschen vor Ort – am besten natürlich auf Fahrrad- und Fußwegen.

Auch interessant: In Berlin untersuchten Studierende der TU den Kranoldplatz – und schlagen vor, die Parkplätze zu ersetzen. Mehr dazu hier.

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