LOVO ist ein integratives Wohnprojekt von Christoph Wagner Architekten zusammen mit Wenke Schladitz. Das Gebäude befindet sich in Berlin-Friedrichshain und ist eines der wenigen Orte für homo-, bi-, trans- und intersexuelle Menschen, die Betreuungsbedarf und teilweise einen Fluchthintergrund haben.
Die Idee für LOVO
Mit LOVO möchte das Studio Christoph Wagner Architekten einen Lebensraum für queere Menschen mit und ohne Fluchthintergrund schaffen, die ihren Alltag nicht ohne Hilfe bewältigen können. Dafür gibt es in diesem Wohnhaus betreute Wohngemeinschaft. Durch den Fokus auf die LSBTI*-Community handelt es sich um das erste Projekt seiner Art.
Der Neubau wurde 2019 von Christoph Wagner Architekten in Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Wenke Schladitz fertiggestellt und ist seitdem bewohnbar. Auf der 15. Biennale in Venedig im Jahr 2016 wurde er bereits im Deutschen Pavillon unter dem Slogan „Making Heimat. Germany: Arrival Country“ vorgestellt. Christoph Wagner initiierte das Projekt bereits im Jahr 2015 gemeinsam mit dem Künstler Ulrich Vogl und dem Betreiber, der Schwulenberatung Berlin. Alle Beteiligten waren davon überzeugt, wie wichtig es ist, ein derartig stark integratives Projekt in einen zentralen Stadtteil zu platzieren.
Das Gebäude hat sieben Geschosse und schließt eine der letzten Baulücken in einem gründerzeitlichen Kiez in Berlin-Friedrichshain. Es gibt 30 Wohnplätze, von denen acht bis zehn für Geflüchtete gedacht sind. Sie verteilen sich auf vier Wohngemeinschaften mit jeweils sieben bis acht Einzelzimmern. Eine davon ist als Pflege-WG konzipiert. Hinzu kommen drei Maisonette-Wohnungen im 5. und 6. Obergeschoss, die auf dem freien Mietmarkt vergeben werden.
LOVO ist ein Akronym und steht für „Lebensort für Vielfalt am Ostkreuz“. Die Gesamtkosten des Gebäudes liegen bei 3,05 Millionen Euro brutto.
Die Architektur von LOVO
Das LOVO-Gebäude zeichnet sich durch ein skulptural ausgebildetes Außentreppenhaus aus, das hofseitig angeordnet ist. Somit entspricht es einem verkürzten Seitenflügel. Die Maisonette-Wohnungen sind über einen Laubengang zu erreichen. Da das Treppenhaus halboffen und „kalt“ ist, tritt man aus den Wohngemeinschaften direkt an die frische Luft. So vermeiden die Architekt*innen Korridore, die institutionell anmuten könnten. Zudem bot der Rohbeton durch die thermische Entkopplung größere Gestaltungsmöglichkeiten beim Bau.
In Richtung der Nachbarschaft präsentiert sich das Gebäude offen und freundlich. Es hat großformatige Fenster, Balkonbänder und eine einladende Farbgebung. Warme Rosa-Töne wechseln sich mit kühleren Blau-Tönen und den Grau-Tönen des Betons ab. So entsteht ein ausgewogenes Verhältnis.
Die Anordnung der Geschosse auf der ganzen Fassadenbreite bedurfte einer langwierigen Abstimmung mit dem Stadtplanungsamt. Zuletzt setzte sich das Projekt durch. Es hat unter anderem eine Nominierung zum DAM-Preis 2021 erhalten und den Berlin Award 2021 gewonnen. Als Haus mit dem KFW-Standard 153 ist LOVO außerdem ein Effizienzhaus mit hohen energetischen Standards.
Neue Formen des Zusammenlebens
Eine frühe Idee für das LOVO-Grundstück bestand darin, ein Baugruppenprojekt zu erstellen. Jedoch entschieden sich Christoph Wagner und Ulrich Vogl schnell dafür, stattdessen ein offeneres Konzept mit einer sozialen Agenda zu verfolgen. Gemeinsam mit der Schwulenberatung Berlin erarbeiteten sie ein Raumprogramm für verschiedene Formen des Zusammenlebens und des Austausch. Dabei war es ihnen besonders wichtig, Unterstützung für LSBTI* in herausfordernden Lebenslagen zu ermöglichen.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich nun drei Gewerbeeinheiten. Dazu gehören Büroräume für die Schwulenberatung Berlin und der offene Kieztreffpunkt Café Transfair. Die Bewohner*innen haben die Möglichkeit, in diesem Café zu arbeiten. Außerdem wird durch die Einnahmen das Wohnprojekt querfinanziert. Auch die Mieteinnahmen der drei Maisonettewohnungen subventionieren zum Teil die Mieten der WG-Bewohner*innen.
Insgesamt lagen die Kosten für LOVO laut Christoph Wagner Architekten bei 2 100 Euro pro Quadratmeter inklusive Baunebenkosten und Grundstück. Somit handelt es sich um ein recht günstiges Projekt. Dies vergrößert den finanziellen Spielraum für die Umsetzung der sozialen Agenda.
Etagengemeinschaften statt Wohngemeinschaften
Architekt Christoph Wagner spricht lieber von „Etagengemeinschaften“ als von Wohngemeinschaften. Denn sie beschreiben ihm zufolge eine größere Gemeinschaft, lassen aber zugleich stets Raum für Privatsphäre. Dies spiegelt sich auch in der Architektur mit ihren verschiedenen Zonen von Öffentlichkeit und Privatheit wider. Das gemeinschaftlich genutzte Treppenhaus führt in jeder Wohnung zunächst in einem Wohn- und Essbereich. Dieser bildet zusammen mit dem Badezimmer eine Übergangszone zu den privateren Wohnbereichen.
Die einzelnen Zimmer der Bewohner*innen erfüllen vor allem die Rolle von persönlichen Schutzräumen. Die Wände sind mit einem hohen Schutzstandard ausgeführt. Kleine Eingangsbereiche schaffen jeweils eine Pufferzone zu den Fluren. Trotz der relativ kleinen Zimmergröße von 14 Quadratmetern entsteht dank der lichten Höhe von 2,90 Meter ein großzügiges Raumgefühl. Außerdem hat jeder Raum bodentiefe Fenster und einen eigenen Balkon.
Im Innenhof von LOVO gibt es einen Gemeinschaftsgarten, den die Anwohner*innen mitnutzen. Dies soll das Haus auch zur Nachbarschaft öffnen sowie die gesellschaftliche Teilhabe fördern. Zudem soll die heterogene Sozial- und Nutzer*innenstruktur einer Stigmatisierung der Bewohner*innen vorbeugen.
So ist durch die Eigeninitiative des Architekten, der hier zugleich Eigentümer, Entwickler und Entwerfer ist, ein solidarisches Wohnprojekt entstanden. Es vereint zivilgesellschaftliches Engagement und architektonischen Anspruch. Laut Christoph Wagner schafft LOVO „für Menschen, die mit struktureller Ausgrenzung und Diskriminierung zu kämpfen haben, Sichtbarkeit und einen Lebensort im Zentrum der Stadt.“
LOVO Berlin nach einem Jahr
Im Jahr 2020 veröffentlichte Christoph Wagner den folgenden Zwischenstand zum Projekt: „Das Haus wird nun seit über einem Jahr genutzt. Das Café unterstützt den Austausch mit der Nachbarschaft, und das Gebäude ist mehr frequentiert, vitaler und extrovertierter als Wohngebäude vergleichbarer Größe. Verbrachten zum Beispiel viele der Bewohner*innen nach dem Einzug noch viel Zeit vor dem Fernseher, halten sich viele von ihnen nun lieber im Garten oder auf den Balkonen auf.“
Weiter sagt er: „Es gibt wöchentliche Zusammenkünfte für gemeinsames Kochen, Gartenarbeit und andere Aktivitäten. Auf eigene Initiative besucht regelmäßig ein Friseur den Gemeinschaftsraum und bietet den Bewohner*innen kostenlose Haarschnitte an. Einige der Bewohner*innen, deren äußeres Erscheinen von den Konventionen ihres biologisch körperlichen Geschlechts abweicht, berichten, dass sie es in dieser geschützten Umgebung zum ersten Mal in ihrem Leben wagten, einen Friseur aufzusuchen. Das Haus wird gut angenommen, es gab bisher kaum Fluktuation. Die Warteliste für einen Wohnplatz ist (leider) extrem lang, denn eine alternative Institution gibt es in Berlin derzeit noch nicht.“
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