Ein interdisziplinäres Forschungsteam unter Leitung der Universität Kassel beschäftigte sich von 2020 bis 2023 mit obsoleten Flächen in deutschen Großstädten. Die Studie „Obsolete Stadt — Raumpotentiale für eine gemeinwohlorientierte, klimagerechte und koproduktive Stadtentwicklungspraxis in wachsenden Großstädten“ zeigt auf, dass es davon sehr viele gibt. Ließe sich hier nicht ein Großteil dringlicher Nutzungen, wie Wohnbebauung, decken?
Studie zu Städten mit Risiko zu Leerstand
Die Studie wurde von der Robert Bosch Stiftung initiiert und gefördert. Das neunköpfige Forschungsteam untersuchte darin die Auswirkungen von Megatrends und Störungen auf wachsende deutsche Großstädte. Dafür analysierte man, welche Typologien einem Risiko von Obsoleszenz ausgesetzt sind und welche Anpassungsmaßnahmen möglich wären. Daraus entwickelte man schließlich nachhaltige Transformationsansätze für eine obsolete Stadt.
Die Obsolete Stadt ist kaum erforscht
Bislang sind die Ursachen für urbane Obsoleszenz nicht systematisch erforscht. Was aber sicher ist — heutzutage beeinflussen vorherrschend Megatrends unsere urbanen Typologien. Viele Gebäudetypen und -flächen geraten also unter Druck, da sie wechselnden Nutzungsansprüchen gerecht werden müssen. Man kann dies aber auch als wichtige Ressource für die Innenentwicklung wachsender Großstädte interpretieren.
Aus Megatrends ergeben sich vier Handlungsfelder
Megatrends sind langanhaltende und grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen, die sich unmittelbar auf die Raumnutzung auswirken. Sie sind mitverantwortlich, wenn Gebäude und Stadträume brach fallen. In den vergangenen Jahrzehnten waren Obsoleszenzen vorwiegend eine Begleiterscheinung der Globalisierung. Jetzt kommen neue Megatrends hinzu: Klimawandel, Digitalisierung, Energie- und Verkehrswende sowie Religiositätswandel. Dabei wird der Großteil freiwerdender Flächen der Digitalisierung zugeschrieben. Es wird demnach ein entscheidenderer Aspekt der Stadtplanung sein, solche Trends vorausschauend zu identifizieren und mit ihnen zukunftsgerichtet umzugehen. Das Forschungsprojekt „Obsolete Stadt“ identifiziert hierzu vier Handlungsfelder: Handel, Arbeit, Mobilität und Religiosität.
Ressourcen für die Innenentwicklung der Städte
Was lässt sich also in der Stadt verändern? Der Bund reagiert auf Megatrends zum Beispiel mit dem Förderprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“. Es ließen sich unter anderem große Flächen im Bereich ruhender Verkehr finden. Hier weist das Fallbeispiel Hamburg über 700 Hektar ebenerdige Parkplatzflächen auf, die nur teilweise genutzt werden. Auch das 49-Euro-Ticket zeigt bereits Entlastungen auf Deutschlands Straßen. Zudem eröffnet der Religiositätswandel neue Möglichkeiten. So könnten nach einer Pietätsfrist Friedhöfe als andere Freiflächentypen umgenutzt werden. Gleichzeitig starten unsere Städte immer mehr Experimente — ob Pop-Up-Radwege, intensiveres Grün oder Verkehrsberuhigungen. Das Forschungsteam schlägt in diesem Sinne vor, die obsolete Stadt als Chance zu begreifen. Denn es scheint problematisch, diese Flächen einfach der Spekulation zu überlassen.
Obsolete Räume sind Potenzialräume
„Die Transformation der Obsoleten Stadt ist also in vollem Gange“. Die Studie zeigt, dass die Fachwelt wie auch die Öffentlichkeit insbesondere an einer Stellschraube drehen sollten: an ihrem Bewusstsein zum Thema. Die Transformation zur obsoleten Stadt passiert vor einem systemischen Hintergrund. Auch gibt es Stadtteile und Quartiere, in denen sich urbane Obsoleszenzen häufen. Das macht sie aber nicht zu Problemquartieren, sondern vielmehr zu Potenzialräumen. Hier ließe sich doch gut mit zukunftsgerichteter Planung experimentieren. Stadtteile müssen ohnehin klimaangepasster werden und mehr gemeinwohlorientierte Nutzungen beinhalten. Auch der Energie- und Verkehrswende muss man begegnen. Hierfür entwickelte die Studie Instrumente für eine konkrete Umsetzung. Und sie hat ein weiteres Appell: Die Bundespolitik soll das Sanierungsrecht als „Städtebauliche Sanierungs- und Transformationsmaßnahme“ fortschreiben.
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