22.12.2023

Projekt

Okulus: Symbolgeladener Spaziergang im Wald

Mit Okulus einen Überblick über das Gudbrandsdal gewinnen. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Mit Okulus einen Überblick über das Gudbrandsdal gewinnen. Fotos: Rintala Eggertsson Architects, Martin Vinje

Okulus ist eine Landschaftsinstallation von Rintala Eggertsson Architects für die Harpefoss Kunstarena. Hier schlängeln sich Holzstege und -bauten durch einen abgelegenen Wald in Norwegen. Ein Wanderweg durch die kraftvolle Natur Skandinaviens wäre bereits szenisch eindrucksvoll genug, doch Okulus bietet weitaus mehr. Vergangenheit wird lebendig-, Natur erlebbar gemacht und es wird mit unserer Wahrnehmung gespielt. Mehr zu dieser spannenden Installation erfahren Sie hier. 

Mit Okulus in die Natur eintauchen. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
In die Natur eintauchen. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje

Okulus als ganzheitliches Waldobservatorium

Die Landschaftsinstallation Okulus liegt nahe des Dorfes Harpefoss im Gudbrandsdal-Tal am Nordufer des Gudbrandsdalslågen. Auf der einen Seite wird das Projekt von der Harpefoss-Schlucht gerahmt, auf der anderen von der wichtigsten Nord-Süd-Eisenbahnlinie Norwegens. Der Spazierweg befindet sich in einem abgeschiedenen Wald in der Nähe des Harpefoss-Hotels. Erreichen kann man ihn nur zu Fuß. Die Installation ist aber auch für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen nutzbar.

Rintala Eggertsson Architects bietet mit Okulus die Möglichkeit, sich durch den Wald zu bewegen, ohne diesen anzutasten. Auch schafft die Installation Raum für temporäre Kunstwerke. Laut den Architekt*innen ist Okulus demnach ein „ganzheitliches Waldobservatorium“. Dem Architekturbüro war es wichtig, nicht die lokale Natur zu verändern. Die Installation ist demnach hundert Prozent rückbaubar. Der Pfad und die Gebäude fließen um die Bäume und Felsformationen, anstatt mit ihnen zu kollidieren. Der Wald bestimmte also maßgeblich das Aussehen und den Verlauf des Projekts. Okulus geht mit der Natur in einen Dialog. 

Die Holzwege schmiegen sich um die Natur. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Die Holzwege schmiegen sich um die Natur. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje
Selbst der kleinste Baum wird berücksichtigt. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Selbst der kleinste Baum wird berücksichtigt. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje
Die Installation ist komplett reversibel. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Die Installation ist komplett reversibel. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje

Erhöhte Wege für Perspektivwechsel

Der erhöhte Fußweg als Typologie ist keine neue Erfindung. Archäolog*innen fanden Überreste solcher Errichtungen, die bis in das Jahr 3 807 v. Chr. zurückdatieren. Damals wählte man die Art von Wegen, um leichter Moor- und Feuchtgebiete zu durchqueren. Heutzutage nutzt man erhöhte Wege in verschiedenen Kontexten. Dabei ist der gemeinsame Nenner das Kreieren einer erhöhten Situation im physischen und mentalen Sinne. Nutzende werden demnach aus dem lokalen Kontext und „primitiven“ Zustand der Natur herausgehoben. Dafür schafft man eine „reinere“, vom Menschen geschaffene, Erfahrung der Umgebung. Früher sah man Natur als was unkontrollierbares und dämonisches an. Der Mensch dagegen schuf göttliche Ordnung. Mit dem heutigen Wissen sollte man diese Einstellung wohl eher umkehren. Denn ist das Reine nicht in der Natur zu finden, während der Mensch mehr für Chaos sorgt? Okulus positioniert sich zwischen diesen Polen.

Erhöhte Holzstege führen durch den abgelegenen Wald. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Erhöhte Holzstege führen durch den abgelegenen Wald. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje

Dualität des „Auge des Betrachters“

Dieser Wanderweg hat also einen dualen Wert. Auf architektonischer Ebene zeigt er auf, wie unterschiedliche Positionen und Bewegungen die Perspektive der Nutzenden auf die Natur und ausgestellte Kunst verändern. Die Wegeführung an sich erlaubt es, mühelos über den Boden zu gleiten und somit die Umgebung aufmerksamer zu erfassen. Besuchende können subjektiv entscheiden, wie sehr sie die Natur erleben. Objektiv gesehen schafft der Wegetyp bereits eine gemeinsame Richtungswahl und Plattform für Erfahrung. Es liegt also im „Auge des Betrachters“ —  daher der Name der Installation.

Oculus bedeutet Auge auf Latein und ein Okular ist eine Linse, die Dinge vergrößert. Okulus bezieht sich demnach auf den Akt des Schauens und Beobachtens. In diesem Fall liegt der Fokus auf der Natur, der durch das Waldobservatorium geschaffen wird. Die Idee von Rintala Eggertsson Architects war es, eine Arena zu schaffen, in der Mensch und Natur co-existieren. Der Weg bildet hierbei den Rahmen und die Kunst das Mittel der Beobachtung. Die Grundidee existiert aber nicht nur in der Theorie, sondern ist auch visuell greifbar. Denn in der Draufsicht erkennt man, dass die Installation um einen kleinen Teich führt. Der Wasserspiegel wird dabei zur Pupille, die vom Boden in den Himmel blickt.

In der Draufsicht lässt sich das Auge erkennen. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
In der Draufsicht lässt sich das Auge erkennen. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje

Ein Spiel mit Heterotopien

Rintala Eggertsson Architects haben also nicht nur eine Fortbewegungsmöglichkeit für einen Samstagnachmittag Spaziergang geschaffen. Okulus hat auch einen symbolischen Wert: „Das Auge als Denkfigur ist in dem Projekt Okulus auf mehreren Ebenen präsent. Auf architektonischer Ebene betont es, wie verschiedene Positionen und Bewegungen die Perspektive des Betrachters verändern und mit der künstlerischen Wahrnehmung interagieren“, so das Büro. Rintala Eggertsson Architects begründen die Konstruktion von Okulus auf dem Konzept der Heterotopien. Dieser Begriff stammt von dem französischen Philosophen Michel Foucault. Laut Foucault sind Heterotopien Orte, die sich am Rande der produktiven und sozialen Ordnung der Gesellschaft befinden. Anders als Utopien, sogenannte Nicht-Orte, sind Heterotopien konkrete, marginale Orte und Gebäude. Sie sind weder privat noch öffentlich, weder geschlossen noch offen, weder reguliert noch ungeregelt. An solchen Orten kann man also Grenzen als vorübergehend durchlässig erleben. Der philosophische Grundgedanke dieses Projekts kann also nicht nur im Wald existieren, sondern mehreren Raumtypen zugrunde liegen. 

Man kann sich der Natur soweit nähern, wie erwünscht. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Man kann sich der Natur soweit nähern, wie erwünscht. Fotos: Rintala Eggertsson Architects, Martin Vinje
Orte zum Verweilen und Beobachten. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje

Okulus soll uns die Augen öffnen

Nicht jeder hat eine ausgeprägte Beziehung zur Natur. Vielmehr scheint sie mit den neuen Generationen schwächer zu werden. Diese Landschaftsinstallation hat mehrere Funktionen, da sie ein breites  Publikum ansprechen möchte. Dabei zielt sie darauf ab, ein Verständnis für Kunst, Natur und sensorische Erfahrungen zu schaffen. Rintala Eggertsson Architects erhoffen sich, dass Okulus-Besuchende die Ambivalenz und die Notwendigkeit zur Reflexion über unser modernes Verhältnis zur Natur näher bringt.

Mit Okulus einen Überblick über das Gudbrandsdal gewinnen. Quelle: Rintala Eggertsson Architects, Photo: Martin Vinje
Mit Okulus einen Überblick über das Gudbrandsdal gewinnen. Foto: Rintala Eggertsson Architects, Foto: Martin Vinje

Sehen Sie hier ein Video mit dem Architekten Dagur Eggertson vor Ort:

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Auch in New York City kann man einen besonderen Spaziergang im Einklang mit der Natur erleben: Alles zum Moynihan Connector lesen Sie hier.

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