13.07.2023

Projekt

Pollinator Pathmaker: Wachsende Empathie für Insekten

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Doch wer sagt, dass es menschliche Betrachter sein müssen? Alexandra Daisy Ginsbergs Kunstprojekt „Pollinator Pathmaker“ ist für die Sinne von Bienen, Schmetterlingen und anderen pflanzenbestäubenden Insekten bestimmt.

 

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
Foto: Frank Sperling

Kunstaktion Pollinator Pathmaker adressiert nicht den Menschen

Ginsberg und ihr Team haben den Vorplatz des Berliner Museums für Naturkunde in einen blühenden Garten verwandelt. Wo einst spärliche, von Trampelpfaden durchzogene Rasenflächen die lärmende Invalidenstraße säumten, taumeln nun Hummeln gemächlich von Blüte zu Blüte. Auf 722 Quadratmetern wachsen hier rund 7 000 Pflanzen 80 verschiedener Arten. Ziersalbei ist dabei, ebenso der Bach-Nelkenwurz mit seinen zarten, hängenden rostroten und altrosa Blüten oder die leuchtend blaue Gemeine Wegwarte, die neben Kurz- und Langkopfhummeln noch eine ganze Reihe weiterer Insekten anzieht.

Das Projekt ist das erste dieser Reihe auf deutschem Boden. Kooperationspartner ist die LAS Art Foundation Berlin, eine gemeinnützige Kunstinstitution und Plattform für Kunst, Wissenschaft und neue Technologien. Zuvor hatte die britische Künstlerin Gärten in Cornwall (Eden Project) sowie für die Londoner Serpentine Galleries angelegt.

Auch, wenn die Kunstaktion Pollinator Pathmaker nicht den Menschen adressiert – ästhetisch kommt auch dieser auf seine Kosten. Drei Jahre lang wird der Garten bestehen und dabei im Laufe der Jahreszeiten ständig sein Gesicht wandeln.

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
Alexandra Daisy Ginsberg, Foto: Frank Sperling

Do it yourself-Kampagne: Mit KI für Kerbtiere

Das Projekt beschränkt sich nicht auf das Naturkundemuseum. Alle Berliner*innen sind aufgefordert, eigene Gärten für Bestäuberinsekten anzulegen. Die Website pollinator.art unterstützt Interessierte mit kostenlosen Pflanzplänen. Dafür hat Ginsberg gemeinsam mit LAS und einem Expertenteam unter der Leitung des Museums für Naturkunde Berlin eine Liste von 150 kontinentaleuropäischen Pflanzen erstellt, die heißen Sommern sowie frostigen Wintern trotzen.

Ein algorithmusbasiertes Tool entwirft Blumenlandschaften von maximal fünfzehn mal fünfzehn Metern und richtet sie auf die Bedürfnisse der Insekten aus. Ganz im Sinn der Leitfrage: „Wenn Bestäuberinsekten Gärten entwerfen würden, was würden Menschen sehen?“. Schönheit aus Insektensicht – eine beflügelnd andere Perspektive.

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
Fotos: Frank Sperling
1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling

Durch Insektenaugen: Neue Facetten der Wahrnehmung

Mit ihren Facettenaugen registrieren Insekten nicht dieselben Bereiche des Farbspektrums wie Menschen. Manche Insektenarten erkennen auf Blütenblättern für das menschliche Auge unsichtbare Markierungen, die sie ins Innere der Blüte locken. Diese Einladung zu Nektar und Bestäubung richten viele Pflanzenarten an ganz bestimmte Insektenarten. Das Ergebnis einer langen Co-Evolution, von der sich Ginsberg, die von Hause aus Architektin und Designerin ist, begeistert zeigt. „Bei Pollinator Pathmaker geht es um Empathie für andere Spezies“, erklärt Ginsberg ihren postanthropozentrischen Ansatz. Mit ihrem Projekt möchte die Künstlerin das Bewusstsein dafür verändern, wie wir Gärten sehen und für wen wir sie anlegen.

Das ist im Übrigen auch dringend nötig: In Deutschland sind die Bestände fliegender Insekten in den letzten 30 Jahren um 75 Prozent geschrumpft. Um so mehr gilt es, die mindestens 3 000 verbleibenden Arten zu schützen, von denen 565 einheimische Bienenarten und 433 verschiedene Arten von Schwebefliegen sind. Dazu kommt eine unbekannte Anzahl von Fliegen, Mücken, Schmetterlingen, Wespen und Käfern, die maßgeblich dazu beitragen, dass die Pflanzen in unseren Gärten und Landschaften wachsen und gedeihen.

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
Foto: Frank Sperling

Ein Algorithmus für größtmögliche Bestäuber-Vielfalt

Auf pollinator.art müssen die Nutzer*innen lediglich Informationen zu Standort, Größe, Konsistenz und ph-Wert der Erde, Lichtverhältnissen etc. eingeben. Die dann generierten Pflanzpläne sind so optimiert, dass eine größtmögliche Diversität an Bestäuberarten begünstigt wird. Im Spiel mit dem Algorithmus können angehende wie geübte Gärtner*innen unterschiedliche Möglichkeiten ausprobieren, wie sich das jeweilige Grundstück gestalten lässt. Und er kann sich entscheiden: Gilt seine Empathie allen Insekten gleichermaßen oder hegt er ein besonders Faible, etwa für Käfer oder Zitronenfalter?

Alexandra Daisy Ginsberg glaubt fest daran, „dass wir, indem wir Kunst pflanzen, statt sie nur zu betrachten, eine fürsorgliche Beziehung zu ihr aufbauen. (…) So stellen wir Natur nicht nur da, sondern nehmen sie selbst als Kunst wahr.“ Dabei denkt die Britin in großen Dimensionen: „Mit vereinten Kräften kann Pollinator Pathmaker zum größten klimapositiven Kunstwerk der Welt heranwachsen.“

Bettina Kames, Direktorin von LAS, versteht das partizipatorische Projekt Pollinator Pathmaker als soziale Skulptur. Es handele sich um eine radikale Neuerung, da es das Verständnis ändere, was ein Kunstwerk ist und an wen es sich richtet: „Pollinator Pathmaker trägt damit auf besondere Weise zu den dringend benötigten Debatten über den Klimawandel, die Umweltkrise, den zugrundeliegenden Anthropozentrismus und die Gesundheit unseres Planeten bei – und gibt uns ein einfaches Tool an die Hand, wie wir einen Beitrag leisten können.“

1. Pollinator-Pathmaker-LAS-Edition, im Auftrag der LAS Art Foundation, wächst von Juni 2023 bis November 2026 auf dem Vorplatz des Museums für Naturkunde Berlin. Ansicht der Installation. Foto: Frank Sperling
Foto: Frank Sperling

S+T+ARTS Prize 2023 – Grand Prize of the European Commission

Rechtzeitig zur Ausstellungseröffnung erreichte Ginsberg die Nachricht, dass sie den S+T+ARTS Prize 2023 – „Grand Prize of the European Commission, honouring Innovation in Technology, Industry and Society stimulated by the Arts 2023“ erhält. S+T+ARTS (Science, Technology and the Arts) ist eine von der Europäischen Kommission seit 2016 geförderte Initiative, die sich auf Projekte konzentriert, die versuchen, die sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu meistern, vor denen Europa steht oder in naher Zukunft stehen wird.

Zum Thema Pflanzen: Vom 05.05. bis 22.10. öffnet im Kunstmuseum Liechtenstein die Ausstellung „Parlament der Pflanzen II“. Warum sich ein Besuch lohnt, lesen Sie hier.

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