07.09.2023

Gesellschaft

Pontevedra – Vorreiter für autofreie Städte

Das Foto zeigt eine breite Promenade neben einer Straße. Dahinter fließt der Fluss. Im Vordergrund ein Park mit Bäumen.
In Pontevedra haben Fußgänger*innen Vorrang. Ein Traum im Nordwesten Spaniens? Foto: Arturo Rey via unsplash

Pontevedra in Spanien gilt als Vorreiter für autofreie Städte. Wie sich die Stadt gewandelt hat, welche Vorteile heute messbar sind und welche Kritik es anfangs gab lesen Sie hier.


Pontevedra geht seinen eigenen Weg

Über die Zukunft der Mobilität wird allerorts viel diskutiert. Fahrverbote und Tempolimits stoßen dabei besonders oft auf Widerstand. Wie ein resolutes Konzept die innerstädtische Qualität jedoch nachhaltig verbessern kann, zeigt ein Projekt in Spanien. Die Stadt Pontevedra im Nordwesten des Landes geht bereits seit den 1999er Jahren ihren eigenen Weg. Als Provinzhauptstadt von Rías Baixas in Galicien gelegen, bietet der Ort mit kleinen Plätzen, wappengeschmückten Häusern mit Arkaden und alten Kirchen im mittelalterlichen Stadtkern zahlreiche Sehenswürdigkeiten. Große Bekanntheit erlangte die Stadt jedoch vor allem aufgrund ihrer nachhaltigen Verkehrspolitik. Denn seit nurmehr über 20 Jahren ist die Innenstadt weitgehend autofrei gestaltet.


Pontevedras "schmutzige" Vergangenheit 

Die Umgestaltung erfolgte als drastische Reaktion auf die untragbaren Zustände. Auf 80 000 Einwohner*innen kamen beinahe genauso viele Autos. Allein in der Altstadt verkehrten täglich 14 000 Autos, berichtet der Bürgermeister von Pontevedra, Miguel Anxo Fernández Lores. Es sei ein einziges Chaos gewesen. Hinzu kamen die schlechte Luftqualität und zahlreiche Verkehrsunfälle. Auch Xosé Cesareo Mosquera, der Leiter der städtischen Infrastrukturen, erinnert sich an den damaligen Status quo:It was a sad and stressed city, people felt like they had to escape to live on the outskirts.“ Die Stadt reagierte. Unter dem damals neu ins Amt gewählten Bürgermeister Miguel Anxo Fernández Lores begann eine umfassende urbane Transformation.


Drastische Maßnahmen

Nach nur einem Monat im Amt gelang es Lores, insgesamt 300 000 Quadratmeter im Stadtzentrum zu Fußgänger*innenzonen umzuwidmen. In der Altstadt ist seitdem nur noch Lieferverkehr geduldet. Ehemalige Parkplätze wurden zu Flaniermeilen umgestaltet. Wer sein Auto parken möchte, sucht dazu nun einen der rund 15 000 Parkplätze außerhalb der Innenstadt auf. Die meisten davon sind kostenlos. Unterirdische Parkhäuser ergänzen das Angebot. Für Autos gilt außerdem ein Tempolimit von 30 km/h. Straßenbarrieren in Form von erhöhten Überwegen für Fußgänger*innen, geringe Fahrbahnbreiten und Kreisverkehre fördern dabei einen steten aber langsameren Verkehrsfluss. Den schmalen Straßen stehen breite Gehwege gegenüber. Sie zeigen ganz deutlich: In Pontevedra haben Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr. Über zusätzliche Stadtpläne mit Entfernungen und Zeitangaben zu Fuß können sich diese im Stadtraum informieren und orientieren.


Folgen der Transformation

Die Transformation betrifft jedoch nicht nur die städtischen Infrastrukturen. Auch die Einstellung der Menschen zur Stellung des Autos hat sich über die Jahre geändert. Für Bürgermeister Miguel Anxo Fernández Lores gilt schon seit Beginn an: „Owning a car does not give you the right to take up public space.“ Selbst lokale Geschäftsleute, die sich zuerst vehement gegen die Maßnahmen ausgesprochen hatten, sind heute von den Vorzügen der Stadt- und Verkehrsplanung zugunsten von Fußgänger*innen überzeugt. Der prophezeite Einbruch an Kund*innen- und Umsatz trat nicht ein. Vielmehr erledigen die Bürger*innen Pontevedras heute vieles zu Fuß. Um Widerstand entgegen zu wirken, wählte die Stadt einen inklusive Planungsprozess. Vor der Umgestaltung der jeweiligen Straße organisierte sie Versammlungen mit den betroffenen Anwohner*innen. So seien Zweifel oder Sorgen zerstreut worden.

Insgesamt hat sich das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt um 97 Prozent verringert. Auch die Luftwerte konnte deutlich verbessert werden. So verzeichnet die Stadt seit Einführung der Änderungen einen Rückgang der CO2-Emissionen um über 70 Prozent verzeichnet. Schließlich ist auch die Zahl der Verkehrsunfälle und der Verkehrstoten zurückgegangen.


Pontevedra als Vorbild?

Das Modell dient vielen anderen Städten weltweit als Vorbild. Pontevedra wurde für das Konzept außerdem mit internationalen Preisen ausgezeichnet, darunter der UN-Habitat Award 2014, der Intermodes Award 2013 und der Active Design Award 2015. Die Übertragbarkeit auf andere Städte wird immer wieder diskutiert. Bürgermeister Miguel Anxo Fernández Lores selbst sagt, jede Stadt müsse ihr eigenes passendes Modell finden. Es gebe jedoch mit Sicherheit Ansätze aus Pontevedra, die andernorts als Inspiration dienen könnten. Laut Bürgermeister Lores könne eine ähnliche Umgestaltungen in Städten mit bis zu 180 000 Einwohner*innen funktionieren. Bei größeren Metropolen könne es helfen, in Stadtvierteln zu denken. Also beispielsweise den Verkehr in einigen großen Straßen des Stadtgebiets zu konzentrieren, um angrenzende Bereiche verkehrsfrei auszugestalten.


Klare Kommunikation und Planung 

Wesentlich sei vor allem ein klarer Plan. So verfolgt Pontevedras Stadtplanung ein Konzept der kompakten Zentren. Statt einer Zersiedelung und Orientierung ins Umland, fördert die Stadt die Innenentwicklung. Kurze Wege zu Fuß werden so realisierbar. Ebenso wichtig sei die Kommunikation mit den Betroffenen. Nur durch sinnhafte und nachvollziehbare Eingriffe, die eine tatsächliche Besserung brächten, könne die Bevölkerung die anstehenden Veränderungen mitgehen. „When you simply remove parking without putting out street furniture or terraces or improving the space at all, then the person who cannot park their car there will be frustrated because it simply appears that nothing is being done with an area that could otherwise be used for parking.“, sagt Lores.

Pontevedra hat geschafft, wonach viele Städte sich sehnen. Durch eine kluge Hierarchiesierung von Verkehrsmitteln und entsprechende Gestaltung von Stadträumen entwickelte sich ein attraktiver Ort. Und setzt für andere Kommunen weltweit ein Signal: Die Transformation hin zu alternativen Fortbewegungsmitteln ist möglich. 

In Deutschland wird währenddessen immer noch über Tempo 30 Zonen gestritten. Ein Beispiel aus Berlin.

 

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