15.08.2023

Wettbewerb

Circuit economy im Rathausviertel Wilhelmsburg

Rendering zeigt einen begrünten Innenhof mit einer begrünten Treppen- und Brückenanlage. Er wird gesäumt von mehrstöckigen Häusern.
Mit Circuit entsteht im Wilhelmsburger Rathausviertel ein Pilotprojekt. © Behnisch Architekten | moka-studio

Für die Baufelder 14 und 15 im Stadtentwicklungsgebiet Rathausviertel Wilhelmsburg wurde Ende 2022 ein kollaboratives Werkstattverfahren ausgerufen. Der Fokus der Entwürfe lag auf dem Thema Kreislaufwirtschaft. Nun wurde der 1. Preis vergeben. Mehr dazu hier.


Neues im Wilhelmsburger Rathausviertel 

Auf insgesamt 32 Hektar entsteht im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg das  Stadtentwicklungsgebiet Wilhelmsburger Rathausviertel. Nicht nur rund 1 600 neue Wohneinheiten sind hier geplant. Auch circa 29 000 Quadratmeter Gewerbefläche werden in der Zukunft hier zu finden sein. Weiterhin öffentliche Einrichtungen wie Sporteinheiten und Kindertagesstätten. Möglich wird das gigantische Projekt durch die IBA Hamburg und die zugehörige GmbH. Denn nach Abschluss der Internationalen Bauaustellung 2014 in der Hansestadt löste sich die Planungsgesellschaft nicht einfach auf, sondern agiert weiterhin und verantwortet seither unter anderem die Planung und Realisierung von zehn Neubauquartieren. Darunter eben auch das Rathausviertel Wilhelmsburg. Den Entwurf dazu lieferten bereits im Jahre 2015 DeZwarteHond und RMP Stephan Lenzen Landschaftsarchitekten, die damals den städtebaulich-freiraumplanerischen Wettbewerb „Wohnen für alle – mitten in Wilhelmsburg“ gewannen.

Sie entwickelten eine neue Landschaftsachse mit Entwässerungsgräben – den sogenannten Wettern – , die vom Inselpark bis zum Ernst-August-Kanal führt. An diesen grünen Korridor gliedern sich Radwege sowie Flächen zum Flanieren und Verweilen ein. Weiterhin soll das Viertel zukünftig unterschiedliche Wohnungsangebote für Menschen aller Ziel- und Altersgruppen und damit einhergehend eine architektonische Vielfalt bieten. Dazu variieren die Baufelder im Areal in ihrer Ausdehnung und Orientierung. Für die Baufelder 14 und 15 wurde Ende 2022 ein kollaboratives Werkstattverfahren zum Thema Re-Use und Zirkularität ausgerufen. Mithilfe zweier Werkstatttermine entwickelten die eingeladenen, teilnehmenden Büros über zwei Phasen hochbauliche Konzepte für den Ort.


Verfahren setzt auf Kreislaufwirtschaft

Dabei galt es unterschiedliche Funktionen unterzubringen. Grundsätzlich sah die Auslobung für das Rathausviertel Wilhelmsburg Mischnutzungen aus Gewerbe, Wohnen und öffentlichen Einrichtungen wie jeweils einer Kindertageseinrichtung vor. Die beiden Baufelder – im Norden Baufeld 14 und im Süden Baufeld 15 – sind dabei über ein Bestandsbrückenbauwerk verbunden. Diese Bauwerk sollte in das Gesamtkonzept integriert werden. Dabei galt es jedoch, eine sinnstiftende, öffentlichkeitsbezogene Nutzung im Bestand zu integrieren. Neben diesen städtebaulichen Festsetzungen lag ein wesentlicher Fokus des Verfahrens auf der Entwicklung im Sinne einer circular economy – also nach Grundsätzen der Kreislaufwirtschaft. Dazu konnten sich die teilnehmenden Büros am Gestaltungsleitfaden der IBA orientieren. Aus dem intensiven Verfahren ging nun ein Büro als Gewinner hervor. Behnisch Architekten aus München/ Weimar, TREIBHAUS Landschaftsarchitektur aus Berlin/Hamburg und knippershelbig und Transsolar Energietechnik GmbH konnten mit ihrem Entwurf überzeugen. Sauerbruch Hutton und Jan Wiese Architekten – beide aus Berlin – belegten die Plätze zwei und drei.

Das Pilotprojekt in Hamburg ist gleichzeitig Teil des EU-Forschungsprojektes CIRCuIT. Dabei haben sich die vier Städte Kopenhagen, Hamburg, Helsinki und London zusammengeschlossen, um innovative Lösungen im Hinblick auf einen zirkulären Umbau ihrer baulichen Umwelt bereitzustellen. Der angestrebte Wendepunkt im Bauen gelingt unter anderem dadurch, dass sich Partner*innen aus der gesamten Wertschöpfungskette beteiligen, sodass die Ergebnisse direkt wieder darin einfließen können und Wissen verknüpft wird. 

Atmosphäre am Wasser. © Behnisch Architekten | moka-studio

Gebäude als Organismus

Der erstplatzierte Entwurf zum Rathausviertel Wilhelmsburg stellt ein Pilotprojekt für eine neue Art des Bauens dar – vollständig regenerativ und ressourceneffizient durch Kreislaufsynergien. Behnisch Architekten setzen dafür einerseits auf neue Technologien, innovative Materialien und den Einsatz erneuerbarer Energien. All dies trägt zur Energieeffizienz und zur Optimierung der Gebäudedienstleistungen bei. Darüberhinaus legen die Architekt*innen den Fokus auf den gesamten Lebenszyklus der Gebäude und deren Transformierbarkeit. So sieht der Entwurf beispielsweise eine einfache und flexible Anpassung der Wohnungsgrößen vor, indem Einheiten horizontal oder vertikal über Verbindungsgänge ohne Umbauten miteinander gekoppelt werden können. Dabei sind in der Konstruktion die Verbindung und Trennbarkeit von Baustoffen oder der Umgang mit Lagerbeständen und Resten mitbedacht. Durch die Fügungen kann das Gebäude zerlegt und die einzelnen Teil wieder verwendet werden. Grundgedanke war das Prinzip des Gebäudes als Materiallager für die Zukunft. Einem Organismus gleich, entwickelt sich das Gebäude mit den Bedürfnissen der Bewohner*innen mit. Reduce, Reuse und Recycling sind im Entwurf von Behnisch Architekten demnach mehr als reine Worthülsen.

Piktogramm mit Leitideen für das Quartier. Darunter Naturraum schaffen, Identität stärken, Nachbarschaft stärken, nachhaltige Mobilität und zirkuläre Kreislaufwirtschaft.
Leitideen für das Quartier. © Behnisch Architekten

Freiräume und Mobilität im Rathausviertel Wilhelmsburg

Ebenso trägt der Freiraum essentiell zur Entwicklung des nachhaltigen Quartiers bei. So sollen auf dem Areal Versiegelung reduziert und stattdessen Naturräume entwickelt werden. Die Innenhöfe werden nicht unterbaut, um Baumpflanzungen einen durchwurzelbaren Standort zu garantieren. Die Dächer und Fassaden werden begrünt. Auch für die Bestandsbrücke ist eine begrünte Stufenanlage mit Urban Farming vorgesehen. Mehr noch, sie wird zum „Herz des Quartiers“ und dient zunächst als Infopunkt und Starterbox für alle Entwicklungen im Viertel sowie als Ausstellungsfläche für zirkuläres Bauen. Im weiteren Verlauf wandelt sie sich durch eine Pergola, Sanitäranlagen und eine Küche zum Treffpunkt für die Gemeinschaft. Im nördlichen Hof entsteht eine grüne, spielerische Topographie. Weiterhin sind den Kindertageseinrichtungen auf beiden Baufeldern entsprechende Freiflächen zugeordnet. Auf dem südlichen Baufeld sieht der Entwurf außerdem zwei kleinere Pocket-Parks vor. Für die Pflanzenauswahl im Gebiet sind klimaangepasste Arten vorgesehen. Und nicht zuletzt legt der Entwurf auch ein Konzept für die Gestaltung der Wasserkreisläufe innerhalb der Nachbar*innenschaft vor.

Ebenso setzt der Entwurf im Rathausviertel Wilhelmsburg auf nachhaltige Mobilität. Dazu erhält jedes Haus angegliederte Radabstellflächen und -infrastruktur. Weitherhin sind die Baufelder fußläufig erschlossen und direkt an den ÖPNV mit Bus und Bahn angebunden. So wird Individualverkehr innerhalb des Quartiers vermieden. Stattdessen werden PKW von der Mengestraße in eine zur Hälfte eingegrabene Parkspange geleitet, die so natürlich belichtet und belüftet werden kann.

Lageplan des Entwurfes. © Behnisch Architekten

Eine Vision für die Zukunft

Das Projekt Rathausviertel Wilhelmsburg zeigt, wie eine attraktive, anpassungsfähige Architektur aussehen kann. Dabei stellt der Entwurf neben ästhetischen und ökologischen Gesichtspunkten, auch soziale Aspekte und die Bedürfnisse der Nutzer*innen in den Vordergrund. Dadurch könnten mehr Akzeptanz und Identifikation mit der gebauten Umwelt entstehen. Es bleibt spannend, wie Auslober*innen, Architekt*innen und Anwohner*innen das Pilotprojekt weiterentwickeln. Schon jetzt beeindruckt es durch die innovativen Ansätze, die Möglichkeiten des Rückbaus von Gebäuden zur Wiederverwendung von Materialien ausloten. Nachhaltiges Bauen der Zukunft braucht mehr solcher Konzepte für demontierbares und flexibles Bauen. Denn letztlich profitieren davon Ökologie, Ökonomie und Gesellschaft gleichermaßen.

Ein anderes spannendes Projekte aus Hamburg entsteht zum Beispiel Kirchenpauerkai an der Elbe.

 

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