07.04.2021

Gesellschaft

Bezahlbar Wohnen in Deutschland

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Mit fast zehn Sozialwohnungen pro 1 000 Einwohner*innen steht Hamburg im bundesweiten Vergleich von 26 Städten laut einer Studie von Bulwiengesa ganz vorn da. Doch Sozialwohnungen werden in Deutschland trotzdem in erstaunlicher Geschwindigkeit knapper und immer weniger Menschen können sich Wohnraum in Ballungsgebieten leisten. So hat sich sozialer Wohnungsbau in Deutschland verändert.

UNESCO-Welterbe, architektonische Ikone und berühmtes Beispiel im Bereich sozialer Wohnungsbau: die Hufeisensiedlung in Berlin. (Foto: A.Savin/Wikimedia Commons)

Sozialer Wohnungsbau: frühes Vorbild Deutschland

 

2002 lag die Zahl der Sozialwohnungen in Deutschland ungefähr bei 2,6 Millionen. 2018 waren es nur noch etwa 1,2 Millionen, also weniger als die Hälfte. Das hat der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen in einer Auswertung 2019 festgestellt.

Mit anderen Worten: Zwischen 2002 und 2018 verloren jeden Tag durchschnittlich rund 230 Wohnungen ihren Status als Sozialwohnung. Netto, trotz Neubauten. Ihre Vermieter*innen unterliegen dann nicht mehr der Bindung an staatlich vorgeschriebene Mietpreise und lassen sich mit Mieterhöhungen – verständlicherweise – nicht lange bitten. Unterm Strich geht es mit Deutschlands Sozialwohnungen also abwärts. Nicht gerade rühmlich, wenn man bedenkt, das Deutschland früher als internationaler Spitzenreiter sozialen Wohnungsbaus galt.

Vor etwa 100 Jahren befand sich Deutschland in der Zeit der Novemberrevolution. Der erste Weltkrieg neigte sich dem Ende, die Deutschen stürzten ihre Monarchie und riefen die Republik aus. Auf ihre schlechte Wohnsituation versuchten sie schon in der Kaiserzeit, mitunter in Krawallen auswachsend, aufmerksam zu machen. Doch erstmals in der Zeit der Weimarer Republik fanden die Stimmen der Arbeiterbewegung das Gehör und die Bereitschaft vor, jenen mit kleinen Einkommen bezahlbaren und lebenswürdigen Wohnraum zu schaffen.

Die Berliner Hufeisensiedlung ging als vielleicht bekanntestes Beispiel aus dieser Epoche hervor. Sie ist heute UNESCO-Welterbe und architektonische Ikone. Allein im damaligen Groß-Berlin entstanden in den 20er-Jahren insgesamt 17 solcher verdichteter Sozialwohnsiedlungen, die optisch nicht alle so herausragen mögen wie die Hufeisensiedlung, aber ein gemeinsames Ziel verfolgten: leistbaren Wohnraum guter Qualität zu schaffen.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs sorgten in Schutt liegende Städte und die zurückkehrenden Heimatvertriebenen für eine grassierende Wohnungsnot, auf den in sowohl in Ost als auch in West mit dem Bau staatlich finanzierter Wohnungen begegnet wurde. Der Trend zum öffentlichen Wohnungsbau fand schließlich ab den 80er-Jahren seine Wende, als der Staat sich aus dessen Finanzierung zurückzog und immer mehr Kommunen aus Geldmangel damit begannen, ihre geförderten Wohnflächen zu privatisieren.

Sozialer Wohnungsbau seit den 80ern privatisiert

Die neuen Eigentümer*innen wurden in Verträgen von üblicherweise 30 Jahren Dauer dazu verpflichtet, die Wohnungen als Sozialwohnungen für berechtigte Interessent*innen bereitzustellen und dafür vom Staat finanziell entschädigt. Nach diesen 30 Jahren entfällt dann die sogenannte Sozialbindung und die Eigentümer*innen dürfen die Wohnungen wieder am freien Markt anbieten. Die Renditen, die dort mittlerweile zu erzielen sind, lässt sich kaum jemand entgehen, der Wohnraum anzubieten hat. Wer sich heute eine Wohnung in Ballungsgebieten leisten will, muss häufig entweder weit über dem Durchschnitt verdienen, sich mit sehr wenig Platz zufriedengeben oder aber einen ungesunden Anteil des Haushaltseinkommens für die Wohnkosten einplanen.

Dennoch, das zeigt wie groß die Wohnungsnot anscheinend wieder geworden ist, finden sich heute in deutschen Großstädten schon mal 50 Bewerber*innen zur Massenbesichtigung des sanierungsbedürftigen Wohnklos ein und eine*r von ihnen darf sich anschließend der Ehren einer gepickten Rosine erfreuen.

Der jahrelang vernachlässigte soziale Wohnungsbau wird sich nicht schnell beheben lassen. Das liegt schon an der Gestaltung von Baugenehmigungsverfahren, die regelmäßig ein Vielfaches der reinen Bauzeit eines Objekts in Anspruch nehmen. Was heute angestoßen wird, kann, auch aufgrund des Mangels an Personal, das Bauverfahren in den Kommunen zu bearbeiten in der Lage ist, erst in Jahren zum ersten Spatenstich gelangen. Dazu kommt, dass erst einmal Baugrund vorhanden sein muss, und der wurde an vielen Orten während der Privatisierung verkauft.

Dass Hamburg jetzt statistisch gut dasteht im Bereich sozialer Wohnungsbau ist eine schöne Nachricht, aber die Tatsache, dass sich insgesamt viel zu wenig beim Thema tut, transportiert sie nicht. Immer noch, selbst einschließlich der geplanten Neubauten in den Bundesländern, werden Sozialwohnungen in den nächsten Jahren effektiv weniger werden und solange es sich für Investor*innen nicht lohnt, sie zu bauen, wird sich daran von selbst auch nichts ändern.

Mehr Initiative gefordert

Deutschland ist spät dran ist mit der Thematik, da hilft auch Meckern nichts mehr. Staat und Länder müssen jetzt aber weitaus unternehmen, als bisher. Das Hannoveraner pestel-Institut kam in einer Kurzstudie 2019 zum Fazit, dass der Bestand an Sozialwohnungen als „Minimalziel“ zur Entspannung deutscher Wohnungsmärkte bis 2030 wieder auf zwei Millionen angehoben werden sollte. Um das zu erreichen, schätzt das Institut einen Finanzbedarf von jährlich über sechs Milliarden Euro über mehr als zehn Jahre.

Das sind weit mehr, als die 2,4 Milliarden, die laut der Studie 2018 für den sozialen Wohnungsbau in den Haushalten des Bundes und der Länder bereitgestellt wurden. Auch die Finanzhilfen des Bundes für den sozialen Wohnungsbau, die 2020 mit einem Volumen von einer Milliarde Euro bis 2024 beschlossen wurden, sehen da eher aus wie ein Tropfen auf den heißen Stein.

Vorschläge zur Bekämpfung der Wohnungskrise gibt es. Bundeseigene Liegenschaften wie Parkplätze an Bahnhöfen beispielsweise könnten den Baugrund für neuen Wohnraum darstellen. Auf Stelzen gebaut, wie nach einer Idee eines Bad Aiblinger Architekten, würden sie mit den parkenden Autos nicht einmal um den begehrten Platz konkurrieren. Um schneller auf den Bedarf reagieren zu können, wäre es aber auch nötig, das Baurecht zu verschlanken, und sozialen Wohnungsbauer*innen nicht noch zusätzliche Verwaltungsarbeit aufzubürden.

Über sozialen Wohnungsbau und über den Flächendruck in Berlin ganz allgemein sprachen wir mit Berlins Bausenator Sebastian Scheel im Interview.

Und alles zum Mietendeckel Berlin lesen Sie hier.

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