09.03.2022

Porträt

Dieter Kienast in: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art

„Dino“ der lebensgroße Beton-Brontosaurus (ca. 1995) Foto Copyright: Udo Weilacher
„Dino“ der lebensgroße Beton-Brontosaurus (ca. 1995) Foto Copyright: Udo Weilacher


Die Kultivierung der Brüche – Dieter Kienast

In der Januarausgabe 2022 der G+L zum Thema „Ikonen der 90er-Jahre“ veröffentlichten wir ein Porträt zu Dieter Kienast als einer der führenden Landschaftsarchitekten der 1990er-Jahre. Udo Weilacher hatte von 1993 bis zum Tod von Dieter Kienast im Jahr 1998 die Gelegenheit eng zusammenzuarbeiten. So führten die beiden Landschaftsarchitekten gemeinsam auch ein Interview für Udo Weilachers erstes Buch „Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art“. Die Publikation ist leider inzwischen vergriffen. Mit Einverständnis von Udo Weilacher dürfen wir das Interview mit Dieter Kienast hier bei G+L nochmal publizieren. In diesem erläutert Dieter Kienast mit eigenen Worten viele Aspekte, die für das bessere Verständnis seiner Haltung sehr hilfreich sein dürften. Viel Spaß beim Lesen.

 

Text publiziert in: Weilacher, Udo: Zwischen Landschaftsarchitektur und Land Art. Basel Berlin Boston 1999; S.137-156

Die Frage der Erneuerung der Gartenkunst reduziert sich für die meisten Landschaftsarchitekt*innen auf ein formales Problem. Man klammert sich an historische Vorbilder, reproduziert künstlerische Vorlagen, entwickelt eine auffällige Plangrafik oder verstrickt sich in vordergründige, formalistische Gestaltungsansätze, stets auf der Suche nach dem eigenen Stil im Sinne eines Markenzeichens mit hohem Wiedererkennungswert.

Für den schweizerischen Landschaftsarchitekten Dieter Kienast, Jahrgang 1945, sind solche Tendenzen die symptomatischen Folgen des akuten Theoriedefizits. Kienast betrachtet die Erneuerung der Gartenkultur vordringlich als inhaltliches Problem. Sein Ziel, an dessen Verwirklichung er im Zürcher Büro mit seiner Frau, der Kunsthistorikerin Erika Kienast, und dem Landschaftsarchitekten Günther Vogt arbeitet, ist die Gartenarchitektur als Ausdruck des Zeitgeistes, der Garten als Bedeutungsträger, der das Bewusstsein schärfen und die Sinne wecken soll. Das erfordert nicht nur die Auseinandersetzung mit der Historie unserer Kultur, sondern auch die Aufgeschlossenheit für die vielfältigen kulturellen Erscheinungen unserer Zeit in Film, Video, Philosophie, Literatur, Musik, Werbung und zeitgenössischer Kunst, von Peter Greenaway bis Sol LeWitt. Während manch anderer fürchtet, sich im labyrinthischen Gefüge heutiger Gesellschaftsstruktur zu verirren, erkennt Dieter Kienast gerade darin die reizvolle Chance zum Experiment des Denkens und Handelns.

Dieter Kienasts Vorliebe für die objektivitätsbemühten Werke der Minimal Art ist unverkennbar. Das Bekenntnis des amerikanischen Minimal Künstlers Robert Morris zur formalen Einfachheit könnte ebenso gut aus einem der vielen Traktate des Zürcher Landschaftsarchitekten stammen: „Einfachheit in der Form bedeutet nicht unbedingt auch Einfachheit des künstlerischen Erlebnisses. Einheitliche Formen reduzieren die Beziehungen nicht, sie ordnen sie. Wenn die beherrschende hieratische Natur der Einheitsform als Konstante agiert, werden alle partikularisierenden Beziehungen von Größenordnung, Proportion und so weiter nicht dadurch aufgehoben, sondern eher fester und untrennbar verbunden.“(1)

Wie sich die künstlerische Avantgarde der sechziger Jahre mit ihren spröden Projekten gegen den Verschleiß der Bildwelt wehrte, so wehrt sich Kienast gegen den Bedeutungsverschleiß in der Gartenkultur und ringt um die Authentizität des Ortes. Die wenigen Elemente, die er verwendet, setzt er nur dort ein, wo sie die Lesbarkeit der Situation fördern, dem Wesen des Ortes gerecht werden. Die Inszenierung des scheinbar Natürlichen zur Kaschierung des Künstlichen, wie etwa das Lehrbuch-Feuchtbiotop auf dem Dach der Tiefgarage, zählt zur Kategorie jener vordergründigen Bilder am falschen Ort, die der streitbare Planer strikt ablehnt.

Kann dieser langsam gedeihende Organismus, den wir Garten nennen, den Anspruch auf zeitgemäße Aktualität erfüllen, ohne zum kurzlebigen, modischen Schauobjekt zu werden? Die unzähligen Entwürfe und vielen realisierten Projekte des Zürcher Teams in Deutschland und der Schweiz sind jedenfalls alles andere als ein kurzlebiges Feuerwerk an Formen und Farben, im Gegenteil: Die Arbeiten sind geprägt von gestalterischer Klarheit, die das Gewöhnliche selbstverständlich einbezieht und selbst der Vielfalt durch kraftvolle Einfachheit ihren unverwechselbaren Reiz verleiht. Inhaltliche Komplexität verbindet sich mit formaler Einfachheit zu einer Gestaltung, die gemäß den Prinzipien der Transparenz und der Ambivalenz die Heterogenität bejaht, den Bruch nicht nur zulässt, sondern ihn kultiviert.

Was die Kultivierung des Bruches am konkreten Projekt bedeutet, lässt sich beispielsweise am Wettbewerbsentwurf für die Erweiterung des Günthersburgparkes in Frankfurt am Main deutlich ablesen, der gerade realisiert wird. Durch die Auslagerung der städtischen Gärtnereien eröffnete sich Ende der achtziger Jahre die Möglichkeit, den alten Günthersburgpark, einen stark übernutzten Landschaftspark aus dem vorigen Jahrhundert, auf das Doppelte zu vergrößern und ihn zum Bindeglied zwischen Innenstadt und zukünftigem Grüngürtel zu entwickeln. Während sich der historische Park vollkommen von der Stadt abwandte und als grüne Oase im Chaos der Großstadt fungierte, will der neue Parkteil mit der Stadt, samt den Widersprüchen unserer Zeit leben und verzichtet auf jegliche bauliche Abgrenzung zu den angrenzenden Stadtquartieren.

Der neue Parkteil übernimmt existierende Elemente und Strukturen und entwickelt daraus eine neue gestalterische Sprache von zeitgemäßer Eigenständigkeit. Malerisch gesetzte Baumgruppen des historischen Teiles kristallisieren zu klaren, teils linearen, teils flächigen Baumstrukturen, die heterogene Randbereiche formen oder sich zum geheimnisvollen Parkwald verdichten, der durch präzise formulierte Lichtungen akzentuiert wird. Gewundene Wege werden im neuen Parkteil zu linearen Bewegungslinien, die das Raumerlebnis betonen, anstatt selbst Raum definieren zu wollen. Pflanzenskulpturen, sogenannte Topiarys, bevölkern wie Fabelwesen den Eingangsbereich zum Park und knüpfen an alte gartenkünstlerische Traditionen an. In der Mitte des neuen Parks liegt jedoch die offene, freie Wiesenfläche und überlässt es den Bewohnern der Stadt, den Mittelpunkt des klar konzipierten Rahmens zu beleben.

Trotz eindeutiger Verknüpfung des alten Parks mit seinem neuen Pendant bleibt der Bruch spürbar. Die Schnittstelle wird am deutlichsten vom ehemals rein zweckbestimmten Gärtnerweg überbrückt, der heute von Rosenbögen überstanden ist. Er bildet den Auftakt zu jenem romantisch ironischen Vexierbild am Ende des Weges: Das moderne Gärtnerhaus am Seerosenweiher wird von Efeu überwuchert und verwandelt sich in die neue Günthersburg, die einst als winzige Wasserburg der Ritter von Bornheim im Park existierte und ihm den Namen gab. Die neue Günthersburg ist nicht mehr introvertierter Festungsbau, sondern ermöglicht den Blick auf die alltägliche, wechselhafte Realität der Stadt Frankfurt. „Der Park erzählt uns von Geschichte und Geschichten. Er ist auf unterschiedlichsten Ebenen erlebbar. Er ist gleichzeitig Spielplatz und gartenkultureller Ort. Er lebt, altert und verändert sich mit und von seinen Nutzern.“(2)

„Dino“ der lebensgroße Beton-Brontosaurus (ca. 1995) Foto Copyright: Udo Weilacher
Mit Dieter Kienast (ganz links) und Udo Weilacher (dritte Person von links) auf dem Gelände der „Grün 80“ in Basel. Foto vor dem Maskottchen der Ausstellung, „Dino“ der lebensgroße Beton-Brontosaurus (ca. 1995) Foto Copyright: Udo Weilacher

Interview (Karlsruhe, Sommer 1995)

 

Udo Weilacher: Herr Kienast, Sie lernten Ihr Metier schon früh im gärtnerischen Betrieb der Eltern kennen.

Dieter Kienast: Als Kinder mussten wir Zuhause arbeiten, aber mich hat der Beruf damals überhaupt nicht interessiert. Als es irgendwann hieß, ich solle eine Gärtnerlehre machen, war mir das ziemlich gleichgültig, denn ich wollte eigentlich nur Klettern. Die tägliche Arbeit in der Gärtnerei war eine zwangsläufige Unterbrechung, bevor es am Wochenende endlich wieder zum Klettern ging. Ich denke, das ist typisch für mich: ich tue etwas immer ganz oder gar nicht.

Im Alter von etwa zwanzig Jahren wurde mir bewusst, dass ich doch einen Beruf erlernen sollte. Und ich begann mit der Arbeit in den Büros der Gartenarchitekten Albert Zulauf und Fred Eicher. Dort lernte ich im Grunde fast alles, was man für den Bürobetrieb braucht. Fred Eicher gehört zu den Altvätern der schweizerischen Gartenarchitektur. Er lehrte mich grundlegende Prinzipien, beispielsweise wie wichtig es ist, sich bei der Arbeit auf wenige wesentliche Aspekte zu reduzieren. Eicher sagte beispielsweise immer, es sei das wichtigste, die Bäume am rechten Ort zu setzen, und das konnte er wirklich sehr gut.

Nach einer Weile war ich schließlich der Überzeugung, alles sehr gut zu können, und mir fehlte eigentlich nur noch irgendeine Bescheinigung meiner Fähigkeiten. In der Schweiz war es üblich, bei einem Gartenarchitekten einige Jahre im Büro zu arbeiten und sich dann selbständig zu machen. Ich wollte aber ein Diplom und ging mit vierundzwanzig Jahren – mit Frau und Kind – an die Gesamthochschule Kassel. Dort wurde mir sofort klar, dass ich im Grunde ganz wenig wusste. Das Studium in Kassel war im Aufbau begriffen, man hatte sehr viel Freiheit und musste sich selbst organisieren. Das bekam mir gut. Weil mich niemand zur Arbeit drängte, tat ich sehr viel. Unsere Projekte waren immer das Ergebnis harten Ringens, denn die Problemstellungen wurden immer erst einmal grundsätzlich diskutiert. Es ging in Kassel in erster Linie um den gesellschaftspolitischen Ansatz und um die planerische Umsetzung.

Nach dem Vordiplom merkte ich, dass eine ganze Reihe wichtiger Grundlagen fehlten, beispielsweise Grundlagen der Gestaltung und der Kunstgeschichte ebenso, wie Grundlagen der Botanik. Ich beschloss deshalb, mich sehr intensiv nur einem Gebiet, nämlich der Pflanzensoziologie zu widmen.

Professor Karl-Heinrich Hülbusch vertrat das Lehrgebiet sehr engagiert und verstand es, mich für das Fach zu begeistern. Außerdem bin ich von Haus aus ein eher chaotischer Mensch, und der strenge logische Aufbau des Fachgebietes half mir, mich zu disziplinieren. In den Semesterferien musste ich unseren Unterhalt verdienen, denn wir waren mittlerweile zu viert. Ich arbeitete anfangs noch bei Fred Eicher und später bei einem ehemaligen Mitarbeiter von Albert Zulauf, Peter Stöckli, der ein eigenes kleines Büro gegründet hatte. In dieser Zeit realisierte ich bereits eigene Projekte. Die Kombination aus theoretischem Hintergrundwissen von der Hochschule einerseits und den fachbezogenen, fast bodenständigen Erfahrungen aus der Praxis fand ich sehr günstig. Ich mochte schon immer beide Teile meiner Arbeit, den gestalterischen und den theoretischen Teil.

Nach dem Diplom hatte ich den Eindruck, immer noch nicht genug zu wissen, erhielt ein Stipendium und promovierte bei den Professoren Hülbusch und Tüxen, dem Altmeister der Pflanzensoziologie. Ich beschäftigte mich mit dem Thema der spontanen innerstädtischen Pflanzengesellschaften in Kassel. Es sollte nachgewiesen werden, dass der pflanzensoziologische Ansatz planerisch verwertbar sei. Es stellte sich aber im Laufe der Arbeit heraus, dass es ungeheuer aufwendig war, die planerische Umsetzbarkeit nachzuweisen, und so beschränkte man sich gezwungenermaßen auf den naturwissenschaftlichen Schwerpunkt, während planerische Aspekte nur angerissen werden konnten.

Udo Weilacher: Der systematische Planungsansatz entwickelte sich also während des Hochschulstudiums, aber wo liegen die Quellen ihres gestalterischen Schaffens?

Dieter Kienast: Ich bin im Grunde ein gestalterischer Autodidakt. Bei Professor Grzimek habe ich kaum etwas über Gestaltung erfahren, und Professor Latz vermittelte vor allem Grundlagen der Planungstheorie. Ich habe daher zunächst das reproduziert, was ich bei Fred Eicher gesehen habe, weil sich seine Arbeit von allem, was ich bis dahin kannte, deutlich unterschied.

Udo Weilacher: Ihre Vorliebe für die Arbeit des Minimalisten Carl André lässt darauf schließen, dass gerade die Kunstszene am Ende der sechziger Jahre für Sie von Interesse war.

Dieter Kienast: Ich würde eher von unbewusster Wahrnehmung sprechen, die offenbar Spuren hinterlassen hat. Ich erinnere mich beispielsweise an die Arbeit von George Trakas im Rahmen der documenta 6 (3), bestehend aus einer Stahl- und einer Holzbrücke, die an ihrem Kreuzungspunkt gesprengt wurden. Mich hat das sehr beeindruckt, aber ich habe das damals nie mit meiner Arbeit in Verbindung gebracht, denn ich war zu sehr mit Pflanzensoziologie beschäftigt. Hätte mich damals jemand nach meinen Zukunftsplänen gefragt, hätte ich meinen Beruf mehr in der wissenschaftlichen und weniger in der gestalterischen Arbeit gesehen.

Udo Weilacher: Der Pflanzensoziologe ist offensichtlich nicht bei seinem Fach geblieben. Warum?

Dieter Kienast: Es war eine wenig befriedigende Vorstellung, mich in Zukunft nur noch mit etwa zehn Experten auf der Welt über ein pflanzensoziologisches Spezialgebiet zu unterhalten. Ich ging zurück nach Zürich, wurde Partner im Büro von Peter Stöckli und befasste mich ein oder zwei Jahre lang mit vielfältigen Arbeiten: Entwürfe, pflanzensoziologische Kartierungen, Abbauplanungen und so weiter. Bald wurde mir bewusst, dass ich mich weder im gestalterischen Bereich, noch in der Pflanzensoziologie weiterentwickelte, und schließlich entschloss ich mich, meinen Schwerpunkt ganz auf die gestalterische Arbeit zu verlagern. Der Ehrgeiz, mehr zu erreichen, spielte dabei durchaus eine Rolle, und 1980 wurde ich schließlich Professor für Gartenarchitektur am Interkantonalen Technikum in Rapperswil.

Das war der Auftakt einer intensiven Auseinandersetzung mit gestalterischen Fragestellungen in Zusammenarbeit mit den Kollegen Jürg Altherr und Peter Erni. Altherr ist Bildhauer mit einem Studium in Gartenarchitektur. Peter Erni ist von Hause aus Architekt, unterrichtete Kunstgeschichte und verfügt über erstaunliches theoretisches Wissen, das er jedoch nie mit anderen Disziplinen verknüpfen konnte. Ich versuchte, diese unterschiedlichen fachlichen Voraussetzungen miteinander in gartenarchitektonischen Studienprojekten zu kombinieren. Das war zwar für die Studenten teilweise verwirrend, aber sie lernten dabei, dass es in der Auseinandersetzung mit einem Projekt immer unterschiedliche Vorstellungen und Betrachtungsweisen gibt. Die Zusammenarbeit mit Vertretern anderer Disziplinen war für mich schon immer etwas ganz Entscheidendes.

Udo Weilacher: Haben die schweizerischen Gartenarchitekten Ernst Cramer und Fred Eicher Leitbildfunktion, sind sie noch heute für Sie aktuell? 

Dieter Kienast: Anfang der achtziger Jahre waren zwar andere Dinge aktuell als 1995, aber die Arbeiten von Ernst Cramer begeistern mich noch heute, und die wohltuende Einfachheit im Schaffen von Fred Eicher habe ich in kaum einer anderen Arbeit je wieder gefunden. Das deduktive Prinzip, die Beschränkung auf das Wenige, aber um so Kraftvollere hat mich bei beiden nachhaltig beeindruckt. Cramer hat mit Sicherheit viel entschiedener gearbeitet, war innovativer und programmatischer in seinen Ansätzen. Die Arbeiten von Fred Eicher kennen keine Brüche und sind stets zurückhaltend. Seinen Plänen aus den fünfziger Jahren ist anzusehen, dass er einmal bei Hermann Mattern in Kassel studiert hatte. Einige der Arbeiten von Eicher halte ich noch heute für das Beste, was in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren entstanden ist. Dazu gehört unter anderem auch der Friedhof Eichbühl in Zürich. Als Schweizer waren beide Persönlichkeiten in der Anfangszeit so etwas wie Vorbilder für mich.

In der aktuellen Landschaftsarchitektur halte ich Bernard Lassus von hervorragender Bedeutung. Seine Arbeiten sind zwar sicherlich nicht frei von Widersprüchlichem, trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – gehören sie zum Spannendsten, was ich derzeit kenne. Bei den Arbeiten von Lassus geht es nicht nur um die Weiterentwicklung der Theorie, sondern auch um den Versuch der praktischen und poetischen Umsetzung. Ernst Cramer und Fred Eicher ließen mich in dieser Hinsicht mit der Zeit eher ins Leere laufen, weil in ihrer Arbeit die formale Ebene die wichtigere Rolle spielte. Gerade die gelungene Verbindung zwischen Inhalt und Form ist aber das entscheidende.

Die Theorie hat für mich einen sehr hohen Stellenwert, denn ein wichtiger Teil der Landschaftsarchitektur kann nicht von der emotionalen Ebene aus bestritten werden. Das allseits beklagte Theoriedefizit ist in meinen Augen tatsächlich gravierend. Ich meine damit nicht etwa die Planungstheorie, sondern das allgemeine kulturelle Verständnis, also die Kenntnisse der Gartengeschichte, der Kunstgeschichte, der Sozialtheorie und so weiter. Die Theorie gehört zum intellektuellen Teil unserer Arbeit. Wenn es nur darum geht, schöne Förmchen zu backen, brauche ich natürlich keine Theorie.

Udo Weilacher: Für viele Landschaftsarchitekten spielt insbesondere der Bezug zur historischen Gartenkunst eine besondere Rolle. Wie wichtig ist Ihnen dieser Bezug?

Dieter Kienast: Die intensive Beschäftigung mit der Gartenkunst ergab sich gezwungenermaßen erst mit Beginn der Hochschullehre in den achtziger Jahren. Ich musste mich sozusagen einmal quer durch die Geschichte der Gartenkunst arbeiten, und dabei wurde mir bewusst, dass viele historische Konzeptionen nicht etwa veraltet, sondern immer noch von aktueller Bedeutung sind. Vielleicht sind es aber auch veraltete Konzeptionen, mit denen wir uns nach wie vor befassen? Eine besonders interessante Epoche der Gartenkunstgeschichte gibt es für mich aber nicht.

Udo Weilacher: Wie hat sich im Laufe der Zeit Ihr Selbstverständnis geändert?

Dieter Kienast: Kurz nach Beginn des Studiums hatte ich bereits das Gefühl, die Landschaftsarchitektur sicher zu beherrschen. 1973 gewann ich dann einen gesamtschweizerischen Wettbewerb, und das war absolut verheerend. Da hatte ich zum ersten Mal den Eindruck, wirklich der Beste zu sein. Ich beurteilte die Arbeiten damals ausschließlich danach, ob sie mir gefielen oder nicht. Mit zunehmendem Alter wird man natürlich immer selbstkritischer und relativiert solche unkritischen Sichtweisen. In der Zusammenarbeit mit Studenten und Kollegen entwickelte sich zunehmend die Kritikfähigkeit. Erst danach entstanden die ersten halbwegs gescheiten Entwürfe.

Udo Weilacher: Welche Projekte gehören für Sie in diese Kategorie?

Dieter Kienast: Der Brühlpark in Wettingen zählt noch heute für mich zu den gelungeneren Projekten, nicht zuletzt wegen seiner einfachen gestalterischen Mittel. Der Park hat kleine Fehler, denn er war eines meiner ersten größeren Projekte. Beispielsweise bin ich mit dem Kinderspielbereich immer noch nicht zufrieden, weil er einfach nicht gut funktioniert. Außerdem gibt es diesen schmalen Bodenstreifen, der zwei angrenzende Straßenzüge miteinander verbindet, dabei dem Verlauf eines Hauptweges folgt und sogar das runde Wasserbecken durchquert. Eine gewisse Zeit fand ich diesen Streifen ungeheuer wichtig, um den Park in seiner ganzen Breite zu durchmessen. Heute ist mir dieses Bedürfnis eher schleierhaft, denn es vermittelt nur den Schein von Logik. Das Verlangen, dass man bestimmte Dinge unbedingt merken Muss, ist heute nicht mehr gegenwärtig.

Die Reduktion auf ganz einfache, fast archaische gestalterische Grundprinzipien entstand damals übrigens aus dem Zwang zum sinnvollen Umgang mit dem knappen Budget. Dieser Zwang bringt den erfreulichen Nebeneffekt mit sich, dass man sich disziplinieren Muss. Es gibt durchaus einige junge Kollegen, die in meinen Augen das Unglück hatten, dass ihnen zu viel Geld zur Verfügung stand. Dadurch kamen manchmal schreckliche Projekte zustande. Die Planung des Brühlparkes führte unter den genannten Umständen sogar zu einem Ergebnis mit gestalterischer Eigenständigkeit. Die Erdpyramiden erinnern an Pückler und Cramer. Diese Verwandtschaft war von mir nicht gewollt, und fast hätte das zu einer neuen formalen Gestaltung mit vielen Hügeln geführt, aber schließlich beließ ich es dabei, weil ich der Ansicht war, dass der Park nur wenige, einfache Elemente vertragen würde. Die Hügel sollten einen Kontrast zur ebenen Umgebung und zum Bergrücken des Lägern bilden.

Udo Weilacher: Wie würden Sie heute Ihr Selbstverständnis als Landschaftsarchitekt beschreiben?

Dieter Kienast: Das sind heikle Fragen. Kürzlich fragte mich ein Architekt nach meiner „message“. Ich antwortete ihm: „Gute Dinge tun.“

Udo Weilacher: Ich vermute, dass man als Landschaftsarchitekt eine bestimmten Vision von der zukünftigen Qualität unserer Lebensumwelt hat. Hinter Ihren Gärten und Landschaftsbildern vermutet man eine gewisse Grundidee.

Dieter Kienast: Das ist richtig. Die Gestaltung von Außenräumen ist aber zunächst eine relativ einfache Aufgabe. Schwierigkeiten entstehen erst mit dem Versuch, einen besonderen Ort zu schaffen. Das ist für mich keine Frage eines bestimmen Stils oder der festgelegten Verwendung bestimmter Materialien und Pflanzen. Mir geht es eher um die Auseinandersetzung mit den eigenen Möglichkeiten. Diese ergeben sich aus der Ansammlung des individuellen Kultursedimentes, das man in sich trägt. Selbstverständlich spielt auch die Örtlichkeit und die jeweilige Aufgabenstellung eine entscheidende Rolle. Aus der Kombination dieser Faktoren ergeben sich für mich immer wieder überraschend vielfältige Antworten. Es kommt mir eher wie ein Zufall vor, wenn zwei Arbeiten plötzlich nach einer ähnlichen Konzeption aufgebaut sind. Zuweilen taucht dann schon die Frage nach dem Selbstverständnis auf. Ich frage mich in solchen Augenblicken, ob ich einfach alles tun kann, ohne dass es dabei auf bestimmte Wertvorstellungen ankommt.

Udo Weilacher: Welche Relevanz kommt der Gartenkunst Ihrer Ansicht nach in der heutigen Gesellschaft, der aktuellen Kultur zu?

Dieter Kienast: Die Frage, wie es um die aktuelle Gartenkunst steht oder was Gartenkunst heute sein soll, interessiert mich nicht. Ich glaube nicht, dass es die Aufgabe der Macher ist, diese Frage zu beantworten. Diese Diskussion führt mich nicht weiter. Was habe ich davon, zu unterscheiden, was Gartenkunst ist und was nicht? Es gibt eine schöne Definition vom Philosophen Hans-Georg Gadamer, wonach alles Profane nichts mit Kunst zu tun hat. Wenn wir dieser Definition folgen wollen, gibt es keine Gartenkunst. Vielleicht sollten wir lieber wie Leberecht Migge, der das Problem recht elegant umging, von Gartenkultur sprechen. Ich fühle mich außerstande, einzelne Werke danach zu beurteilen, ob sie Kunst oder keine Kunst sind. Überlassen wir diese Diskussion lieber Theoretikern wie Lucius Burckhardt, die darüber wesentlich kompetenter reden können. Sonst läuft man Gefahr, dass jeder nur noch im Hinblick darauf arbeitet, irgendwann einmal in die Annalen der Gartenkunst einzugehen.

Udo Weilacher: Viele Ihrer Projekte sprechen aber nicht gerade für die These, dass es sich bei der Landschaftsarchitektur nur um eine profane, einfache Angelegenheit handelt.

Dieter Kienast: Wenn ich vorhin behauptete, dass Landschaftsarchitektur im Grunde eine sehr einfach Sache sei, dann war das durchaus keine Koketterie, sondern entspricht den Tatsachen. Trotz der unterschiedlichen Ansätze, Lösungen und Konzeptionen in unserer Arbeit schließe ich nicht aus, dass es einige Projekte gibt, die nahezu erschreckend einfach sind. Manchmal reduziert es sich tatsächlich auf den rechten Baum am rechten Ort, den Weg und vielleicht eine Bank. Diese Dinge miteinander zu verbinden, kann manchmal schwierig und manchmal sehr einfach sein, aber die Situation kann uns hinterher immer Auskunft darüber geben, ob es ein gelungener Eingriff war. Das ist eine Frage der Atmosphäre, der Stimmung, der Poesie. Den Begriff Schönheit will ich nicht ins Spiel bringen, weil er mit dem Reizwort des Naturschönen verbunden ist, und dabei geht es immer um Lieblichkeit. Der Außenraum, der Garten kann, aber er Muss nicht unbedingt lieblich sein.

Ich mag auch Orte, von denen man landläufig behauptet, sie seien nicht schön, denn es gibt auch eine Schönheit des Hässlichen, eine Schönheit, die nicht einlullt, sondern erschreckt. Den jeweiligen Charakter des Ortes zu treffen, die Authentizität zu wahren, halte ich für eine heikle Aufgabe. Darum beurteile ich unsere Arbeit stets danach, ob sie den Charakter des Ortes, seine Atmosphäre richtig treffen. Das hat manchmal weder etwas mit den formalen Mitteln noch mit der inhaltlichen Konzeption zu tun.

Udo Weilacher: Ich erinnere mich an eine Publikation, in der Sie den Umstand schilderten, dass der Berufstand ohne Leitbild sei. Das provoziert geradezu die Frage nach Ihrem eigenen Leitbild.

Dieter Kienast: Ich habe kein Leitbild. Es ist nun mal eine Tatsache, dass unsere aktuelle gesellschaftliche, politische und religiöse Situation in der Schwebe ist und dagegen können wir sehr wenig tun. Je länger dieser Schwebezustand anhält, desto mehr neigen wir dazu, uns an bestimmte Prinzipien oder Leitbilder zu klammern. Ich finde diesen Schwebezustand aber besonders spannend, weil er die Möglichkeit bietet, sich unbeschwert zu bewegen und Dinge auszuprobieren. Das interessiert mich immer wieder. Gerade bei kleinen Arbeiten probieren wir oft neue Konzeptionen, Materialien und Formen aus, die wir später vielleicht nie wieder verwenden. Wenn es also eine charakteristische Herangehensweise gibt, dann ist es das ständige Ausprobieren.

Udo Weilacher: Das klingt so, als ob es für Sie den definitiven Standpunkt in der eigenen Arbeit nicht gäbe. Andererseits formulieren sie in Publikationen und Vorträgen immer wieder eine umfangreiche, praxisbezogene Sammlung von Grundsätzen, nach denen sich der Umgang mit Freiräumen richtet[4]. Das deutet auf eine dezidierte Vorstellung hin, was Landschaftsarchitektur zu leisten hat.

Dieter Kienast: Wissen Sie, die Postmoderne wurde beispielsweise oft missverstanden als ein Programm, das einem alles erlaubt. Es geht natürlich alles, aber nur in einem beschränkten Bereich. Es war Henry Ford, glaube ich, dem jede Farbe für ein Auto recht war, Hauptsache sie war schwarz. Ich glaube, dass wir durchaus klare konzeptionelle Vorstellungen über unsere Arbeit haben, aber die Anwendung dieser Konzeptionen und Grundsätze wechselt ständig und führt zu unterschiedlichen Ergebnissen, die sich nicht nur formal unterscheiden.

Erstaunlicherweise werden die meisten unserer Grundsätze allgemein befürwortet, weil sie alles andere als ungewöhnlich sind. Beispielsweise wird sich jeder um die Besonderheit des Ortes bemühen. Es ist ein Problem, dass die erwähnte Grundsatzsammlung Statements enthält, die ich heute nicht mehr schreiben würde, weil einige davon so allgemeingültig sind, dass jeder bedenkenlos zustimmen würde. Trotz dieser Übereinstimmung würden aber am Ende völlig unterschiedliche Projekte entstehen. Wenn Sie mich also nach unserem Standpunkt fragen, dann gehört die Erkenntnis dazu, dass die eigene Position ihre Eindeutigkeit verloren hat. An deren Stelle ist die Ambivalenz, die Gleichzeitigkeit oder die Vieldeutigkeit getreten.

Udo Weilacher: Können Sie erläutern, wie sich die erwähnten Grundsätze konkret am Projekt auswirken?

Dieter Kienast: In Zürich arbeiten wir beispielsweise an einem kleinen Hausgarten. Der Garten liegt mitten in der Stadt, und das Gelände ist von einem Eisenbahntunnel unterhöhlt. Wir stellten uns die Frage nach dem speziellen Charakter des Ortes und griffen das Thema der Erde als ständig manipuliertes Rohmaterial auf. Der Garten musste räumlich abgeschlossen werden, deshalb bauten wir eine Mauer aus Stampflehm, der im Garten gewonnen wurde. Es ergab sich ein ambivalentes Bild, zusammengesetzt aus der Erde als Gartengrund, als Rohmaterial und der Mauer als typisch städtisches Element. Mit der Mauer wird das Unsichtbare sichtbar, denn die Erde, die normalerweise versteckt hinter der Gartenmauer liegt, wird in ihrer typischen Farbigkeit zum einfassenden Rahmen. Ich halte diese einfach durchzuführende Maßnahme für einen ökologischen Beitrag in mehrfacher Hinsicht.

In unserem eigenen Garten, der für uns eine Art Spielwiese für allerlei Experimente ist, gibt es große geschnittene Heckenfiguren. Jedes Mal kommt von Besuchern die Frage, was das darstellen soll, und ich antworte: „Ich weiß es auch nicht, was meinen Sie denn?” Die Vieldeutigkeit, sowohl in der Konzeption unserer Werke, als auch in der späteren Wahrnehmbarkeit, ist uns wichtig. Wir glauben, dass die Welt in ihren komplexen Abhängigkeiten so schwer als Ganzes zu begreifen ist, dass wir es uns nicht mehr leisten können, nur in eine Richtung zu denken, wenn wir den Anspruch erfüllen wollen, für viele etwas zu tun. Ich habe von Bernard Lassus gelernt, dass sehr verschiedene Ebenen existieren, die man lesen Muss. Das ist vielleicht der Teil unserer Grundsätze, den nicht mehr alle so einfach unterschreiben können.

Udo Weilacher: Ihre Projekte entstehen in Zusammenarbeit mit Ihrer Frau Erika Kienast und dem Landschaftsarchitekten Günther Vogt. Wie arbeitet dieses Team?

Dieter Kienast: Zwischen uns spielt sich die Zusammenarbeit auf ganz unterschiedlichen Ebenen ab. Mit meiner Frau diskutiere ich zwar einzelne Projekte, und sie weist mich darauf hin, wenn sie Merkwürdigkeiten entdeckt, die sie für problematisch hält. Viel wichtiger sind in unserer Zusammenarbeit aber die indirekten Anmerkungen.

Mit Günther Vogt arbeite ich seit etwa acht Jahren zusammen. Wir verstehen uns spontan ohne viele Worte. Wir diskutieren und streiten aber auch miteinander, den Bleistift in der Hand. Nach dem Reden folgt in der Regel die Tat, die Zeichnung. Das ist häufig mein Part, aber die grundlegende Konzeption entwickeln wir, wenn möglich, immer gemeinsam. Unsere Projekte entstehen nicht als Einzelarbeit.

 

Udo Weilacher: Ihre Frau ist Kunsthistorikerin, und daher liegt die Vermutung nahe, dass der Kunst in Ihrer gemeinsamen Arbeit eine wichtige Bedeutung zukommt. Welcher Kunst messen Sie in Ihrer Arbeit besondere Bedeutung zu?

Dieter Kienast: Mein Vorliebe liegt bei der Minimal Art und den davon abgeleiteten Musikkonzepten. So manches Fundstück stammt aus dieser Kunstrichtung. Was mich an diesen Arbeiten so interessiert, ist natürlich wieder die Reduktion, die Beschränkung auf ganz wenige Elemente, die Konzeption der Klarheit und der Logik. Weil wir aber nicht nur mit toten Materialien, wie Beton, Stahl und Glas, sondern auch mit Pflanzen in einem anderen Kontext arbeiten, besteht nicht die Gefahr, die Minimal Art einfach wörtlich zu übernehmen. Darum sind mir die Minimal Künstler, wie Carl André und Donald Judd viel lieber als die Land Art Künstler. Ich erwähnte bereits, dass der Zwang zur Logik für mich hilfreich gewesen ist. Die Neigung zum Überborden ist dagegen bei mir von Haus aus gut ausgebildet.

Udo Weilacher: Die Reduktion auf das Wesentliche ist also auch eine Art Selbstdisziplin?

Dieter Kienast: Hinzu kommt sicherlich eine gewisse Ordnungsvorstellung. Das Chaos müssen wir nicht erzeugen, weil es von selbst entsteht. Daher stellt sich eher die Frage, ob ich Ordnung schaffen kann oder soll. Dem Chaos, das uns zu einem gewissen Maß die Natur liefern kann, setzen wir die Ordnung als tragfähiges Rückgrat entgegen. Da ist Disziplin, auch die Selbstdisziplin notwendig. Das duale Prinzip von Ordnung und Chaos existiert natürlich auch im eigenen Denken und Handeln und Muss dirigiert werden. Ich kann nicht zur gleichen Zeit denken und zeichnen, sondern muss beides abwechselnd tun.

Dieses wechselseitige Verhältnis prägt durchaus die Gestalt der Freiräume. Die Reduktion hat aber auch einen gesellschaftlichen Hintergrund: Die Anreicherung des Raumes geschieht von selbst, während wir Sorge dafür tragen müssen, den tragfähigen Rahmen zu schaffen. Wenn die Schale bereits von Anfang an voll ist, kann sie nicht weiter gefüllt werden, oder die unerträgliche Masse wird zum Problem. Wir müssen uns daher auf die teilweise Fertigstellung des Bildes beschränken.

Udo Weilacher: Welche weiteren Zutaten gehören neben der zurückhaltenden Strenge zu einem Freiraumentwurf, damit sich die Poesie entfaltet?

Dieter Kienast: Strenge allein kann sehr dogmatisch sein. Der Entwurf für den Augustusplatz in Leipzig strahlt beispielsweise auf den ersten Blick eine gewisse Strenge aus. Erst die gezielte Verwendung des Lichtes bringt das poetische Moment ins Spiel. In der Nacht entfaltet der Platz durch zweifarbige Bodenleuchten ein faszinierendes Lichterlebnis. Nicht der Raum, sondern der Boden wird erleuchtet. Ich stelle mir das Eintauchen ins gedämpfte, farbige Lichtermeer sehr eindrucksvoll vor. Im Günthersburgpark in Frankfurt ist es ein modernes Gebäude, das die Poesie der Situation fördert, indem es sich wie eine mittelalterliche Burg präsentiert. Es gibt meines Erachtens unterschiedliche Arten der Poesie. Im Günthersburgpark ist es eine romantisch getönte Poesie.

Udo Weilacher: Worin unterscheidet sich die romantisch getönte Poesie von purer Romantik?

Dieter Kienast: Die gesteigerte Romantik wird vom Schwelgen in Gefühlen bestimmt, ohne dass dabei noch irgendwelche sachliche Reflexion im Spiel ist. Erst auf den zweiten Blick erkennt man, dass die vermeintlich mittelalterliche Burg im Grunde eine ganz klare Kiste mit einer hundertdreißig Meter langen und sechs Meter hohen Mauer ist. Da bekommt das romantische Bild einen Bruch, weil die architektonische Sprache einem anderen Kontext entstammt.

Udo Weilacher: Haben Sie einen Hang zur Romantik?

Dieter Kienast: Natürlich.

Udo Weilacher: Da sind Sie einer der wenigen, die das so offen eingestehen, denn viele verbinden mit diesem Begriff das Kleinbürgerliche, Nationalistische oder Triviale.

Dieter Kienast: Wir haben eben unterschiedliche Seelen in uns, und der romantische Teil ist bei mir deutlich ausgeprägt: Ich klettere in den Bergen und genieße die Erhabenheit der Alpen. Wenn das nicht die perfekte Romantik ist? Die Kritik am Romantischen belastet mich überhaupt nicht, denn es gibt auch den anderen Teil in mir, der das Romantische hinterfragt. Ich gehe gerne in die Berge, und nach drei Tagen sehne ich mich nach dem Gestank der Abgase. Ich war vor einiger Zeit beim Bergsteigen am Montblanc und gerade als die Tour besonders schwierig wurde, kam die große Sehnsucht, inmitten des Trubels zu sein, einen Big Mac zu essen, im Warmen zu sitzen und vor der Flimmerkiste zu hocken.

Auch in unserem Garten gibt es das romantisch Verwunschene. Trotzdem findet man plötzlich auch ein Keramikquadrat, das einen ganz anderen Ausdruck hat. Ich lebe in dieser Polarität von Romantik auf der einen Seite und dem Bezug zur alltäglichen Realität, dem Rationalen auf der anderen Seite. Ich glaube jedenfalls, dass dem Romantischen in Zukunft wieder mehr Bedeutung zukommen wird. Wenn ich mir die Internationale Gartenbauausstellung 1994 in Stuttgart in Erinnerung rufe, dann hatte auch da die Romantik ihren Stellenwert, aber eine andere Romantik, als wir sie vertreten. In der Romantik der Gartenschauen fehlt mir einfach der aufklärerische Teil, vielleicht sogar der intellektuelle Ansatz. Die schnelllebige und vordergründige Formensprache, die auf den Gartenschauen präsentiert wird, ist mir genauso zuwider wie gängiges und weitverbreitetes, sogenanntes neuzeitliches Landschaftsdesign. Die Romantik in unseren Projekten ist immer gebrochen: Kurz vor dem Abtauchen in Schwelgereien wird man noch mal nachdenklich gestimmt.

Udo Weilacher: Trifft es zu, was einmal über Sie geschrieben wurde, dass Sie Gärten für Intellektuelle schaffen?

Dieter Kienast: Nein, diese Feststellung ist absoluter Unsinn. Wir möchten nicht einfach etwas machen, was anders, was aufregend ist und viel publiziert wird, sondern es geht uns um die Leute. Gerade die Menschen in der Stadt haben einen Anspruch darauf, auch einmal einen Baum zu erleben, wenn sie ihr Haus verlassen – denken Sie an Herrn K. von Bertolt Brecht. Ich glaube dass wir wieder lernen müssen, mit diesen scheinbar belasteten, angeblich unmodernen Elementen und Aspekten umzugehen.

Die Romantik gehört dazu und ebenso die anspruchsvolle Pflanzenverwendung, die wir sträflich vernachlässigt haben. Wir haben uns sehr lange darin gefallen, Gärten und Anlagen zu schaffen, die den baumlosen Entwürfen der Architekten sehr ähnlich waren. Wir fanden das entsetzlich progressiv. Der Hang, ein wenig absonderlich zu erscheinen, spielte dabei eine viel zu große Rolle. Es ist nicht mein Bestreben, etwas speziell anderes zu machen. Wenn den Menschen unsere Entwürfe trotzdem gefallen, freut es mich und überrascht mich zugleich.

Wir bauten einen sehr kleinen Garten für einen Mathematiker. Die Pläne und das realisierte Projekt fand ich sehr schön und sehr diszipliniert. Die Poesie in diesem Garten ergibt sich allenfalls aus der Zusammenstellung der Pflanzen, die wir in geometrischen Reihen setzten. Das gefiel dem Mathematiker schließlich auch sehr, aber anfangs haben wir immer die größten Schwierigkeiten, für unsere Entwürfe die notwendige Akzeptanz zu finden. Die Grundstruktur unserer Anlagen ist relativ rigide, und sie hat anfangs immer eine deutliche Dominanz. Erst später pendelt sich mit der Entwicklung der Vegetation ein gewisses Gleichgewicht ein. Die Vegetation spielt bei unseren Entwürfen eine ganz wichtige Rolle.

Udo Weilacher: Neben der Vegetation spielt auch das Wort als Inschrift oder als skulpturales Element in manchen Ihrer Projekte eine wichtige Rolle. Die Vermutung liegt nahe, dass Ihre Inspiration auch aus anderen Kunstrichtungen kommt, ich denke beispielsweise an Arbeiten von Ian Hamilton Finlay.

Dieter Kienast: Ja sicher, Ian Hamilton Finlay gehört ganz klar zu meinen Favoriten. Seine One-Word-Poems finde ich ausgesprochen faszinierend. Wir erleben heute aber auch in der Architektur, wie die Informationsaufnahme über das Wort immer wichtiger wird, weil die Menschen den Umgang mit dem geschriebenen Wort leichter beherrschen als den Umgang mit Architektursprache. Was uns mit anderen Mitteln im Garten nur schwer gelingen würde, können wir mit dem Wort sehr schnell erreichen, zum Beispiel das Spiel mit der Doppeldeutigkeit.

Das Wort ist lesbar, kann zum Nachdenken anregen, und wir können die Menschen mit Worten auch in eine gewisse Stimmung versetzen, was uns in unserer Arbeit ganz wichtig ist. Finlay wird zuweilen vorgeworfen, seine Arbeit sei ausschließlich für Intellektuelle verständlich. Ich denke aber, dass solche Interventionen gerade für jene leicht lesbar sind, die nicht über umfassendes analytisches Wissen verfügen. Für die EXPO 2000 in Hannover haben wir im Eingangsbereich zu einem Parkstreifen den Satz von Laurie Anderson „Paradise is just where you are“ in fünf Meter hohen Buchstaben vorgeschlagen. Um diesen Satz zu entschlüsseln, braucht es keinen intellektuellen Höhenflug.

Udo Weilacher: Der Katalog Ihrer ersten Ausstellung trägt den Titel „Zwischen Arkadien und Restfläche“. Was verbinden Sie mit dem Begriff Arkadien?

Dieter Kienast: Arkadien ist für mich gleichbedeutend mit der Sehnsucht, immer woanders zu sein. Diese Sehnsucht, allen Problemen zu entkommen, steckt sicherlich in jedem von uns. Es gibt in unseren Gartenentwürfen aber immer beides: das Paradiesische und das alltägliche Leben. Der Bruch ist immanent. Ohne den Bruch würden wir Gefahr laufen, ins Banale abzurutschen.

Udo Weilacher: Es geht Ihnen also nicht um die Harmonisierung der Brüche um jeden Preis.

Dieter Kienast: Nein, wir kultivieren die Brüche. Das ist sicher. Auch mein eigenes Leben ist bestimmt von Brüchen, die für Spannung sorgen. Das ist manchmal etwas anstrengend, aber es bringt die Entdeckung neuer Erfahrungshorizonte und die Erweiterung sinnlicher Felder mit sich. Der Außenraum Muss ein sinnlicher Ort sein. Nur an Bruchstellen zwischen den Polen kann man diese Erfahrungen machen. Der Entwurfsprozess ist folglich immer ein Oszillieren zwischen Gegensätzen.

Udo Weilacher: Sie scheuen in Ihren Projekten nicht die Zusammenarbeit mit den Schwesterdisziplinen Architektur, Ingenieurwesen und Bildhauerei, sondern betrachten die Kooperation als Selbstverständlichkeit, aus der beiderseitige Innovation erwächst.

Dieter Kienast: Richtig. In den zehn Jahren der Lehre in Rapperswil habe ich beispielsweise nie mit Landschaftsarchitekten zusammengearbeitet, sondern immer mit Künstlern wie Jürg Altherr und Esther Gisler. Mit beiden habe ich später auch Projekte realisiert. In letzter Zeit arbeiten wir weniger mit Künstlern und häufiger mit Architekten zusammen. Diese Zusammenarbeit schätze ich sehr, wobei das synchrone Arbeiten mit anderen Disziplinen nicht immer notwendig ist. Manchmal sind wir ganz froh, nicht die ersten am Ort zu sein, weil bestimmte Rahmenbedingungen dann bereits gesetzt sind und manche Grundsatzprobleme nicht mehr bewältigt werden müssen.

Udo Weilacher: Dem Künstler neidet man immer wieder, dass er im Gegensatz zu Landschaftsarchitekten die große Freiheit habe.

Dieter Kienast: Diese Freiheit haben wir auch, ganz sicher. Ich habe festgestellt, dass es den Architekturstudenten bei der ersten Berührung mit Landschaftsarchitektur immer sehr viel Mühe macht, dass es meistens kein festgelegtes Programm gibt, das erfüllt werden muss. Daher liegt doch der Schluss nahe, dass wir im Unterschied zu anderen Disziplinen sehr viele Freiheiten haben.

Udo Weilacher: Was ist mit der Erfüllung der vielfältigen soziologischen, ökologischen und funktionalen Anforderungen im Freiraum?

Dieter Kienast: Ich sage nicht, dass wir alles gleichzeitig und jederzeit beachten müssen. Der ökologische Ansatz lässt sich auch in kleinsten Projekten erfüllen, ohne dass er dominant sein Muss. Die Ökologie ist für uns aber gar kein eigenes Thema mehr, weil sie mittlerweile selbstverständlich zu jedem Projekt gehört. Das heißt, wir machen um die ökologischen Qualitäten unserer Projekte kein großes Aufheben. Wir verwenden beispielsweise immer weniger technisch veredelte Materialien und machen uns immer Gedanken um die Versickerung des Oberflächenwassers und so weiter. Das hat zwar etwas mit Ökologie zu tun, aber das steht nicht im Vordergrund.

Das rein zweckmäßige Denken halte ich für wesentlich problematischer. Denken Sie beispielsweise an die Stadtplanung der ehemaligen DDR. Die zweckmäßige Vorgehensweise und der Versuch, immer und überall auf funktionale Anforderungen und Raumansprüche optimal zu reagieren, hat dazu geführt, dass der Zusammenhang zwischen den städtischen Elementen, die Qualität und Sinnhaftigkeit des Stadtraumes verloren ging. Es entstanden völlig indifferente Freiräume. Natürlich gab es die gleichen Probleme in schwächerer Ausprägung auch bei westlichen Großsiedlungsprojekten. Die Zweckmäßigkeit darf nicht zum Maß aller Dinge werden. Auch die Ökologie darf nicht zum Maß aller Dinge werden.

Udo Weilacher: Die künstlerische Freiheit darf auch nicht zum Maß aller Dinge werden?

Dieter Kienast: Nein. Wenn man aber als Gegenpart zur künstlerischen Freiheit die Partizipation der Nutzer sieht, Muss einem bewusst sein, dass die Ergebnisse nach zwanzig Jahren Bürgerpartizipation so bescheiden sind, dass man auch diesen Ansatz besser schnellstmöglich ad acta legt. Es stellt sich mittlerweile nämlich heraus, dass die Möglichkeiten der Einflussnahme so begrenzt sind, dass sich die Ergebnisse zwischen partizipatorisch entwickelten Projekten und reinen Architekturentwürfen nicht wesentlich unterscheiden. Es gibt zwar den Spruch, wonach jeder den Anspruch auf Verwirklichung seiner Wünsche haben sollte, auch wenn sie noch so falsch sind, aber für den öffentlichen Raum gilt das in meinen Augen nicht.

Vielleicht ist der Ruf nach mehr künstlerischer Arbeit als Signal zu verstehen, sich weniger auf Mehrheitsentscheidungen zu stützen als vielmehr auf eigenständige Arbeit zu achten. Zu oft versteckten sich die Planer in Diskussionen hinter den Mehrheitsentscheidungen der Nutzer. In der Schweiz wissen wir, dass die Mehrheit nicht immer recht hat. Wir reden also nicht den Erfüllungsgehilfen das Wort, aber die grenzenlose Freiheit ist auch nicht die Antipode.

Udo Weilacher: In den USA und in Europa sorgt Martha Schwartz mit Ihren gewagten Entwürfen und Ihrem Freiheitsanspruch für reichlich Diskussion um Kunst und Landschaftsarchitektur.

Dieter Kienast: Martha Schwartz behauptet von sich, Künstlerin zu sein. Ich glaube, sie tut das deshalb, weil sie nicht angegriffen werden möchte, weder von Planern noch von Ökologen. Die Beschränkung auf rein ästhetisches Arbeiten hat also etwas von einem Rückzugsgefecht. Man macht es sich damit vielleicht zu einfach. Trotzdem haben ihre Arbeiten etwas sehr Erfrischendes, etwas Befreiendes. Allerdings bin ich der Ansicht, dass wir in der Öffentlichkeit arbeiten und mit unseren Planungen einen Teil des Alltags der Leute bestimmen. Es ist ein Unterschied, ob ich mich in einer Galerie, in der Wüste von Nevada, einem privaten Garten oder in einem öffentlichen Park betätige. Da tragen wir eine Verantwortung, die wir uns mit dem Hinweis auf künstlerische Freiheit oder partizipatorische Absicherung nicht einfach vom Hals halten können.

Es geht vielmehr darum, das eigene Tun immer wieder auf seine Qualität und seine Gültigkeit hin zu überprüfen, geistige Wachheit zu entwickeln und rezente Antworten auf Adornos alte Frage zu formulieren: Wie kann ein bestimmter Zweck Raum werden, in welchen Formen und in welchem Material? Architektonische Phantasie wäre demnach das Vermögen, durch die Zwecke den Raum zu artikulieren, sie Raum werden zu lassen, Formen zu Zwecken zu errichten.

 

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[1] MORRIS Robert, zit. aus THOMAS, Karin: Sachwörterbuch zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Köln, 1989

[2] aus dem Erläuterungsbericht des Wettbewerbes 1991.

[3] „Union Pass“, Kassel 1977

[4] vgl. Kienast, Dieter: „Ohne Leitbild“ in Garten + Landschaft 11/86, S.34 ff

 

Auch interessant: Mit seinen 1992 aufgestellten Thesen hat Dieter Kienast auf das konservativ-traditionell geprägte Selbst­verständnis seines Berufsstands hingewiesen und gemahnt dieses kritisch zu hinterfragen. Auch gut 20 Jahre später hat sein Appell nicht an Aktualität eingebüßt. Mehr dazu hier im Text von Udo Weilacher: Thesen Landschaftsarchitektur.

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