08.08.2022

Gesellschaft

Tatort Naschmarkt Wien – mehr Schein als sein?

Blick auf den Naschmarkt in Wien, im Vordergrund eine Kreuzung mit mehreren Autos, dahinter die Stände des Markts, im Hintergrund Häuserzeilen. Foto: Politikaner, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons
Foto: Politikaner, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die Stadt Wien lobt einen europaweiten Ideenwettbewerb für den Naschmarkt-Parkplatz aus. Das Ziel: die festgefahrene Situation in neue Bahnen lenken. Ein Grund für die verfahrene Situation ist politischer Natur. Rosa Schaberl berichtete im Februar 2022 über Visualisierungen als PR-Mittel am Beispiel Naschmarkt Wien.

Diskussionen um Visualisierungen für den Parkplatz am Naschmarkt Wien

Noch ist das 12 000 Quadratmeter große Areal neben dem Wiener Naschmarkt eine triste Betonfläche – ein Parkplatz und eine der größten Hitzeinseln der Stadt. Eine Markthalle wollte die Sozialdemokratische Partei Österreich (SPÖ) an dieser Stelle errichten, die Grünen hingegen einen Park. Im Herbst 2021 sollte es zum offenen Wettbewerb kommen, aktuell werden jedoch nur weiterhin Nutzungsvorschläge von den Wiener Bürger*innen gesucht.

Im Vorfeld gab es zahlreiche Diskussionen zu den Visualisierungen, die SPÖ und Grüne in die Stadt gebracht hatten. Verantwortlich für die Visualisierungen der Grünen war die Architektin Katharina Puxbaum. „Die Grünen sind im Frühjahr 2020 an mich herangetreten. Sie hatten Visionen für die Fläche, waren aber auf der Suche nach einer fachlichen Kompetenz, um diese ersten Ideen auch so darzustellen, dass sie umsetzbar sind“, sagt sie im Gespräch. Die Visualisierungen waren 2021 überall in Wien zu sehen: in den Tageszeitungen, plakatiert im Außenraum oder in den sozialen Medien. Denn während die SPÖ 2020 die Wien-Wahl gewann und die Markthalle in ihr Regierungsprogramm aufnahm, versuchten die Grünen, Befürworter*innen für ihre Idee und Petition zu sammeln. Rund 20 000 Personen sollen diese inzwischen unterschrieben haben.

Die Visualisierungen für die schwimmenden Gärten in Wien erstellte Carla Lo für den Wahlkampf 2015. Fünf Jahre später wurde das Projekt dann tatsächlich auch umgesetzt. Visualisierung: Carla Lo
Die Visualisierungen für die schwimmenden Gärten in Wien erstellte Carla Lo für den Wahlkampf 2015. Fünf Jahre später wurde das Projekt dann tatsächlich auch umgesetzt. Visualisierung: Carla Lo

SPÖ: „Keine realistischen oder gar zu realisierenden Entwürfe.“

Einen anderen Weg ging bei diesem Projekt die SPÖ beziehungsweise die nach der gewonnenen Wahl geleitete Geschäftsgruppe „Innovation, Stadtplanung und Mobilität“. Sie bezogen keine Planer*innen mit in die visuellen Darstellungen mit ein. Auf Anfragen lässt diese wissen: „Die ‚Renderings‘ wurden intern erstellt und sollten nur eine Diskussion über eine Um- und Neugestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes in Gang setzen. Es war kein Architekt beteiligt, da es sich um keine realistischen oder gar zu realisierenden Entwürfe handelte.“ Dieser gewünschte Diskurs wurde auch über die Plattform markthalle.wienwirdwow.at als Bürger*innenbeteiligung zur Neugestaltung des Naschmarkt-Parkplatzes initiiert. „Aufgrund des enormen Interesses“, wie es auf der Plattform heißt, wurde der Beteiligungsprozess sogar über den Sommer verlängert, um Vorschläge, Wünsche und Ideen zur Neugestaltung des Naschmarktes zu sammeln. Diese Beteiligung läuft weiterhin.

Präsentation oder Propaganda

„Sind Visualisierungen ein Propagandamittel?“, fragte die Berner Tageszeitung „Der Bund“ in dem lesenswerten Artikel mit dem Titel „Die fantastischen Bilder, die die Zukunft vorwegnehmen“ Anfang 2021. In Wien würden mit Bezug auf die Planungen am Naschmarkt derzeit einige Personen diese Frage mit einem „Ja“ beantworten. Aber: Ist das wirklich so schlimm? Nicht anders ist die Stadt Wien schließlich zu den mittlerweile nicht nur gut angenommenen, sondern extrem beliebten schwimmenden Gärten von Carla Lo Landschaftsarchitektur gekommen.

Vor den Gemeinderatswahlen 2015 wurde das Büro um eine Visualisierung gebeten: „Inspiriert von den schwimmenden Gärten in Paris sollten wir die Kaiserbadschleuse am Donaukanal begrünen. Die Idee fanden wir interessant, die Visualisierung hat uns Spaß gemacht, ob es wirklich umgesetzt wird, konnten wir nicht einschätzen”, erzählt Lo im Interview, und wirklich: Während des Wahlkampfs wurden die Visualisierungen stark propagiert. Nach den Wahlen wurde es aber ruhig um das Projekt. Einige hemmende Gegebenheiten mussten zuerst geklärt werden. Als der Wahlkampf 2020 dann begann, ging alles sehr schnell. Nur knapp drei Monate nach dem Baubeginn waren die schwimmenden Gärten ein Prestigeobjekt. Die Eröffnung wurde mit extra großen angelieferten Bäumen für Journalist*innen inszeniert.

Im direkten Vergleich

Es ist zu hoffen, dass man auf die Neugestaltung der Praterstraße im zweiten Wiener Gemeindebezirk von 3:0 Landschaftsarchitektur nicht ganz so lange warten muss. Eine Fahrspur weniger, mehr Platz für Fahrradfahrer*innen und Fußgänger*innen sowie 80 neu gepflanzte Bäume werden aus dieser Verbindungsstraße einen grünen Boulevard machen. Präsentiert wurde das Projekt während des Gemeinderatswahlkampfs 2020 mit Visualisierungen, die der aktuellen (Verkehrs-)Situation gegenübergestellt sind. Dass die Praterstraße zum Wahlkampf-Projekt wurde, ist aber eher Zufall. Den Wettbewerb hatte 3:0 bereits vor eineinhalb Jahren gewonnen. Corona verzögerte das Projekt, und so konnte es erst im Herbst 2020 präsentiert werden. Dennoch veranschaulichen gerade diese Beispiele wie landschaftsarchitektonische Visualisierungen immer wieder eingesetzt werden, um Stimmen für die jeweiligen Parteien zu erhalten. Dies fällt besonders auf, wenn Politiker*innen medial für ihre Projekte gelobt, die Landschaftsarchitekt*innen aber nur noch in den Credits der Renderings zu finden sind.

Dass die Praterstraße (und damit die Visualisierungen von 3:0 Landschaftsarchitektur) 2020 zum Wahlkampf-Thema wurde, war eher Zufall; Corona-bedingte Verzögerungen begünstigten das Timing. Visualisierung: 3:0 Landschaftsarchitektur
Dass die Praterstraße (und damit die Visualisierungen von 3:0 Landschaftsarchitektur) 2020 zum Wahlkampf-Thema wurde, war eher Zufall; Corona-bedingte Verzögerungen begünstigten das Timing. Visualisierung: 3:0 Landschaftsarchitektur

Wirkungskraft von Renderings

„Der grüne Ring am Plan hat einfach keine Bedeutung – selbst für Leute, die Pläne lesen können. Eine geschlossene Kubatur kann man auch im Grundriss erfassen, aber einen Baum – in den unterschiedlichsten Erscheinungsformen, und mit all seinen Qualitäten – da tun sich viele sehr schwer“, sagt Daniel Zimmermann. Er hat bereits vor über 20 Jahren das Büro 3:0 mitbegründet und in dieser Position die Entwicklung der Präsentationsmethoden in all den Jahren mitverfolgt.

Für ihn liegen die Vorzüge von Visualisierungen auf der Hand: „Gerade in partizipativen Prozessen können starke Renderings viel bewirken. Wir wollen ja mit Menschen kommunizieren, die kaum oder keine Pläne lesen können. Außerdem haben wir die Erfahrung gemacht, dass wir dadurch die zeitlichen Perspektiven besonders gut veranschaulichen können. Landschaftsarchitektonische Projekte enden nicht einfach mit einer ‚Schlüsselübergabe‘. Wir können allen Beteiligten zeigen, wie unser Projekt in fünf, zehn oder fünfzig Jahren aussieht.“ Ein wichtiger Aspekt, gerade wenn man bedenkt, dass Visualisierungen immer perfekt, ja, der Realität zum Verwechseln ähnlich werden. Der Enttäuschung, dass das Projekt bei der Eröffnung noch nicht so aussieht wie präsentiert, kann man so zuvorkommen.

Visualisierungen als „Green Washing“

„Aber Visualisierungen sind kein reines Präsentationswerkzeug mehr. Wir entwickeln schon hauptsächlich in 3D. Für uns bringt es eine schnelle gestalterische Rückmeldung, und wir sehen die Vorzüge in den disziplinübergreifenden Projekten. Gerade im Straßenraum, wenn man mit dem Bestand, mit Verkehrsplaner*innen und Klimatolog*innen Hand in Hand arbeitet, ist der Schritt in die dritte Dimension besonders wichtig. So können wir uns sehr schnell und für alle verständlich ansehen, ob die unterschiedlichen Maßnahmen einen ganzheitlichen Effekt haben.“ Auch Zimmermann ist der Meinung, dass man, gerade wenn man im öffentlichen Raum plant, nie davor gefeit ist, zum PR-Spielball eines Wahlkampfs zu werden.

Ein größeres Problem sieht er aber an anderer Stelle: „Luxusimmobilien-Magazine kann ich mir nicht mehr ansehen. Das ‚Green Washing‘, dass in dieser Szene über Visualisierungen betrieben wird, grenzt an Betrug. Natürlich, als Landschaftsarchitekt sehe ich diese Bilder und weiß, dass diese Fassade in dieser Form nicht begrünbar ist. Dass die Pflanzen nicht anwachsen werden oder der Baum wegen der Tiefgarage dort gar nicht stehen kann. Als Laie sieht man nur den schönen grünen künftigen Wohnraum, den es aber so nie geben wird.“

Naschmarkt Wien: Zurück in die Zukunft

Natürlich könnte auch mit den Visualisierungen des Parks am Naschmarkt ein „Green Washing“ betrieben werden. Feststellen lässt sich dies zum jetzigen Zeitpunkt nicht. Sicher ist aber: Die Visualisierungen sind nicht nur grün und atmosphärisch schön, sondern auch fachlich fundiert und mit gestalterischem Anspruch. „Das Konzept, die Wegeführung, aber auch die Wasserflächen sollen bewusst machen, dass man hier genau über dem Wienfluss steht. Der heutige Parkplatz ist ja nichts anderes als ein Deckel auf diesem sehr stark regulierten Fluss. Durch die Bepflanzungshügel könnten wir aber dennoch kleinere Bäume und Sträucher setzen, und es ist ein öffentlicher Park für alle Altersgruppen, mit Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Konsumzwang entstanden.“

Der fachliche Anspruch an Visualisierungen scheint sich bezahlt zu machen. So ist ein Video einer Oppositionspartei, in dem die Behauptung aufgestellt wurde, dass dieser Deckel nicht zu begrünen sei, schon wieder aus dem Netz verschwunden. Aber selbst, wenn die Grünen mit ihrer Petition Erfolg haben sollten, wird der Entwurf in dieser Form wohl nicht umgesetzt werden. Ein ausgeschriebener Wettbewerb ist bei einem öffentlichen Projekt verpflichtend. Wie es konkret an diesem Platz weiter geht, ist also offen.

Mögliche Kennzeichnung von Visualisierungen

Ebenso offen ist, wie sich Visualisierungen selbst und ihr Einsatz in der Landschaftsarchitektur künftig weiterentwickeln werden. Den Vorschlag, dass Visualisierungen – ähnlich wie Werbeanzeigen – verpflichtend gekennzeichnet werden könnten, finden alle Gesprächspartner*innen sinnvoll. In diesem Fall würden die Credits für die Qualität haften. In der Zwischenzeit muss man sich als Stadtbewohner*in und Medienkonsument*in aber wohl daran gewöhnen, dass Visualisierungen ebenso konkrete Vorschläge als auch populistische „Fake News“ sein können. Vorrangig sind sie aber eines: wertvolle Präsentationsmöglichkeit der Landschaftsarchitektur, die manchmal sogar eine grüne Zukunft vorwegnehmen.

Mehr Projekte und News aus der österreichischen Hauptstadt: Mit einer begrünten Fassade und luftig sowie mit gemischter Nutzung präsentiert sich der neue IKEA Wien von Querkraft Architekten. Des weiteren gewann Wien vor kurzem den Lee-Kuan-Yew World City Preis 2020. Zudem ging es in der Februarausgabe 2022 der G+L um Landschaftsarchitektur und Stadtplanung in Österreich. Was genau wir uns dabei angesehen haben, erfahren Sie im Editorial von Chefredakteurin Theresa Ramisch.

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