Der aktuellen Corona-Situation geschuldet, wurde die bayerische Landesgartenschau in Ingolstadt komplett aufs Jahr 2021 verschoben. Auch Überlingen in Baden-Württemberg hat sich entschieden, die Pforten erst im nächsten Jahr zu öffnen. In Nordrhein-Westfalen dagegen wurde die Gartenschau in Kamp-Lintfort am 5. Mai, einen Monat später als geplant, eröffnet.

Die Landesgartenschau in Überlingen – die erste überhaupt am Bodensee – besteht zum einen aus dem sechs Hektar großen Uferpark im Westen des Stadtgebiets und davon ein paar hundert Meter entfernt, im Stadtzentrum liegenden Korrespondenzprojekten: Uferpromenade mit Landungsplatz und Mantelhafen. Für diese Bereiche gewann das Berliner Büro relais landschaftsarchitekten den 2012 durchgeführten Wettbewerb. Im April 2013 stimmten die Überlinger dann bei einem Bürgerentscheid mit fast 60 Prozent für die Umsetzung der Gartenschau mit dem vorliegenden Konzept.
Um ein geeignetes Konzept für eine „Grünvernetzung“ dreier innerstädtischer Bereiche auf insgesamt fünf Hektar, nämlich Menzinger Gärten, Rosenobelgärten und Villengärten zu finden, führte die Stadt Überlingen zum anderen im Jahr 2017 eine Mehrfachbeauftragung durch. Dabei setzte sich das Überlinger Büro 365° freiraum + umwelt durch.
Terrain des Parks als Artefakt aufgenommen
Der jetzige Uferpark ist ein langgestreckter Streifen zwischen Bahngleisen und Bodensee. In der Länge misst er etwa 800 Meter, an seiner breitesten Stelle knapp 50 Meter. Man glaubt es als Außenstehender kaum, aber bisher war dieses Areal in bester Uferlage mit Gewerbe und Parkplätzen besetzt. Außerdem führte die Bahnhofstraße direkt am Ufer entlang. Um Platz für den Park zu schaffen, wurde sie landeinwärts an die Bahngleise verlegt. Die bisherige Ufermauer wurde auf der kompletten Länge abgebrochen, um besser zugängliche und vom Seewasser überspülte, naturnahe Uferbereich zu schaffen: Steilufer mit dem Böschungsverhältnis 1:1,5 und Flachufer mit einem Verhältnis von 1:8,5 bis 1:20.

Da es wasserrechtlich nicht möglich war, die neue Ufergestaltung von der bisherigen Ufermauer in den See hinein vorzunehmen, verläuft die neue Uferlinie jetzt, je nach Stelle und Wasserstand, zwischen sieben und 40 Metern weiter landeinwärts. Gebaut wurde in den Uferzonen hauptsächlich im Winter, da während des restlichen Jahrs die Wasserpegel durch das Schmelzwasser und Niederschläge zu hoch sind.
Die Bodenmodellierungen, die die Landschaftsarchitekten vornahmen, fassen das Terrain des Parks als Artefakt auf, das nicht „naturgegeben“ oder „störungsfrei“ erscheinen soll, erläutert Marianne Mommsen von relais. Damit nimmt das Konzept Bezug auf die Geschichte des Geländes während des Zweiten Weltkriegs. In Überlingen-Aufkirch bestand von September 1944 bis April 1945 ein Außenlager des Konzentrationslagers Dachau. Durchschnittlich 700 KZ-Häftlinge waren am Bau des Goldbacher Stollens beteiligt, in den Rüstungsbetriebe aus Friedrichshafen verlagert werden sollten.
Schweizer Landibank als Möblierung
Der Goldbacher Stollen wurde in ein lokales Vorkommen von Molassegestein getrieben. Anfallenden Abraum aus diesen Arbeiten haben die Arbeiter am Bodenseeufer aufgeschüttet. Ohne diesen Abraum gäbe es den heutigen Uferpark also nicht. Mit diesem Wissen im Hinterkopf war es relais ein Anliegen, behutsam mit dem Gelände umzugehen. Direkt hinter der Bahnlinie gelegen, sind die Stolleneingänge vom Uferpark aus gut zu sehen. Ein sogenanntes Lesezeichen, in den Boden eingelassene Molassesteine, leiten die Blicke der Besucher in Richtung des Stollens im Andenken an die ehemaligen Zwangsarbeiter. Dort gibt es auch eine Gedenkstätte.
Eine weitere Besonderheit ist die Pflanzung eines 220 Quadratmeter großen Strandrasens als autochthone Pflanzengesellschaft, die in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe Bodenseeufer und dem Botanischen Garten Konstanz entstand. Strand-Schmiele, Nadelbinse, Strandling, Bodensee-Vergissmeinnicht, Ufer-Hahnenfuß und Schnittlauch sollen sich im Osten des Uferparks ausbreiten. Ob sich die ehemals „alteingesessene“ Gesellschaft im Flachwasserbereich des Uferparks etabliert oder sogar weiter ausbreiten kann, ist ungewiss. Aber ein lohnendes ein Experiment: Die Strand-Schmiele etwa kommt am gesamten Bodenseeufer bisher noch auf rund 120 Quadratmetern vor.

Den Uferpark wertete relais ökologisch auf und machte ihn als künftigen Bürgerpark nutzbar. Daneben kümmerten sich die Berliner auch um eine Auffrischung der Uferpromenade im Stadtzentrum. Diese besteht seit den 1960er Jahren aus massiven Betonbauwerken. Dort ging es um neue Beläge aus grauem Granit und rötlichem Rhyolith. Der rötliche Farbton verdichtet sich nun an der Promenade, am Landungsplatz und am Mantelhafen zum im Stadtzentrum bestehenden Porphyrpflaster. Als Möblierung wählte relais die im Bodenseeraum verbreitete Landibank aus der Schweiz, die in knallrotem Farbton heraussticht. Neue Pflanzungen runden die Aufwertung der sogenannten Korrespondenzprojekte ab.
Stegkonstruktion macht Wasserstand und Wellengang erlebbar
Die innerstädtischen Projekte der „Grünvernetzung“, für deren Gestaltung das Büro 365° freiraum + umwelt verantwortlich ist, verbinden Gärten und Gräben der Stadt miteinander. Dafür öffnet die Stadt bisher teilweise oder gar nicht zugängliche Bereiche: Die Menzinger Gärten bleiben nach der Gartenschau ebenso dauerhaft offen wie die umgestalteten Rosenobelgärten. Ein kompletter Schluss des Verbindungswegs entlang der Gräben konnte allerdings aus denkmalpflegerischen Gründen nicht realisiert werden. Den Vorschlag von relais landschaftsarchitekten, mit einer Stahlkonstruktion an einer alten Stadtmauer ein Privatgrundstück zu überbrücken, lehnte das Denkmalamt ab.

Die innerstädtischen Bereiche nehmen viele der gartenschautypischen Pavillons und Ausstellungsbeiträge auf, so dass der schmale Uferpark den Charme der Weite auch im Gartenschaujahr behalten kann, resümiert Christian Seng von 365° freiraum + umwelt. Das trifft vor allem auf die am Seeufer gelegenen Villengärten zu. Im Stile einer alten Kurbad-Gartenanlage entstanden, schufen 365° hier neue Durchblicke zum See, für die sie dicht zugewachsene Ufervegetation entfernten. Ein augenzwinkerndes Statement in Richtung Berufsfischer setzten die Landschaftsarchitekten mit dem Motiv des neuen Spielplatzes als Kormorankolonie. Hinter dem Haus des Gastes, einer alten Villa, verbirgt sich das Becken des örtlichen Kneipp-Vereins. Auf dessen sonnenzugewandter Vorderseite sahen die Planer daher Hochbeete mit den Kneipp-Kräutern vor.

Ein großes, neu errichtetes Glashaus, das während der Gartenschau den Treffpunkt Baden-Württemberg beherbergt, wird später als Kakteenhaus genutzt. Temporär angelegt sind die vor dem Haus des Gastes gelegenen zwölf Schaugärten, geplant und angelegt von baden-württembergischen Landschaftsgärtnern, und die „Schwimmenden Gärten“. Als passionierter Ruderer verwirklichte der Überlinger Landschaftsarchitekt Herbert Dreiseitl eine auf dem Wasser treibende, halbkreisförmige Stegkonstruktion, die den Wellengang und die jahreszeitlich wechselnden Wasserstände für die Besucher unmittelbar erlebbar macht. An die Plattform angedockt sind mehrere der namensgebenden, ebenfalls auf dem Wasser treibenden, kreisrunden Schwimmenden Gärten.
Rücksicht auf Ortsgeschichte von Überlingen
Von den Menzinger Gärten, die bisher vermietet und daher öffentlich nicht zugänglich waren, bietet sich ein wunderschöner Blick über die Dächer der Altstadt zum See. Dort wachsen nun verschiedene Rebsorten, Esskastanien-, Mandel- und Aprikosenbäume, an deren Früchten sich die Überlinger künftig auch gerne bedienen können. Im unteren Bereich werden die seit dem 17. Jahrhundert bestehenden Kleingartenparzellen als Ausstellungsgärten genutzt. Der Buchbaumzünsler zerstörte in den vergangenen Jahren die historischen Buchsbaumhecken, stattdessen zieren Eiben die Gartenschau. Nach der Schau werden die Heckenkarrées wieder als Kleingärten verpachtet.

Ein neuer Spielplatz mit im gotischen Stil nachempfundenem Holzturm thematisiert, dass der zweite Turm des Münsters, das von dort gut zu sehen ist, aus Geldmangel nie fertiggestellt wurde. In den versteckt liegenden Rosenobelgärten können Besucher vom ehemaligen Wehrturm der Stadt, dem Rosenobelturm, den Blick über die historischen Gräben, Busbahnhof und Bahnhof bis zum See schweifen zu lassen. Eine ortsansässigen Sanitär-Familie nutzte das Gelände wurde vor der Schau gärtnerisch, weshalb sich dort allerlei obskure „Garteninstallationen“ mit Sanitärhintergrund fanden, wie Badewannen und Kupferkessel. Einen Teil davon haben 365° in die neue Gestaltung übernommen, als Referenz an diese sympathische Geschichte des Ortes. Ebenso wie bei den Arbeiten viele historische Mauersteine auftauchten, die wieder zur Verwendung kamen.

Die Projekte der Überlinger Gartenschau nehmen behutsam Rücksicht auf die Geschichte des Ortes und ermöglichen so nicht nur den angereisten Besuchern, sondern auch den Einheimischen Aspekte und Gärten ihrer Stadt neu zu entdecken.
Hier können Sie die Landesgartenschau virtuell erkunden.
Weitere Informationen zur Landesgartenschau Überlingen 2020 finden Sie hier.
Hier finden Sie die Beiträge zur Landesgartenschau Ingolstadt und zur Landesgartenschau Kamp-Lintfort.